Gastkommentar

Hallo, Leute, wir haben Nachbarn zum Kennenlernen!

Höchste Zeit, wieder mehr nach Mittelost- und Südosteuropa zu schauen.

Wir leben in einer Zeit, in der die globalen Perspektiven immer stärker werden, aber ebenso intensiviert sich die Auseinandersetzung darüber, wer unsere Nachbarn sind. Die Migrantenfrage beschleunigt das nur noch. Zunächst ist hier zwar die Politik gefordert. Aber gerade 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Neuziehung der Grenzen in Mittelost- und Südosteuropa sowie 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges darf aber schon darauf hingewiesen werden, dass wir mehr denn je Kenntnisse über diese Räume brauchen.

Die Politik hat es rund um den Zusammenbruch von Jugoslawien verstanden, sich dem Thema zu widmen. Nicht zuletzt ist das seit 1953 existierende Institut für den Donauraum und Mitteleuropa ein vitales Zeichen der Verantwortung in diese Richtung. Hier geht es allerdings nicht nur um die Politik, sondern auch um die notwendigen Verbindungen in Kultur und Wissenschaft. Mit Sorge muss ich seit Jahren feststellen, dass gerade im Bereich der Wissenschaft die Präsenz schwächer geworden ist.

Bedenklich war vor Jahren schon die Schließung des Ost- und Südosteuropa-Instituts. Dazu kam der ausbleibende österreichische Nachwuchs von Wissenschaftlern in diesem Bereich. Dadurch kam es zu einer Reihe von Besetzungen aus anderen Ecken des Kontinents, denen zwar nicht die Qualität abzusprechen ist, denen aber manchmal die Empathie für diesen Raum fehlt.

Phase des Desinteresses

Der Österreichische Slawistenverband hat sich vor Kurzem auch in dieser Frage geäußert und beklagt, dass sich die slawistische Fachkompetenz in Österreich verdünnt. Was die Politik anbetrifft, ist jene Phase hoffentlich zu Ende, in der das Interesse an den Nachbarländern sehr gering war. Dabei hat man die für uns unverständlichen politischen Veränderungen in den Regierungen zum Anlass genommen, um Distanz aufzubauen, ohne aber den Gründen nachzugehen, warum es zum politischen Wandel gekommen ist.

Zu wenig Verständnis

Ich glaube, dass wir nach dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs nach einer anfänglich positiven Phase zu wenig unternommen haben, um Verständnis für unsere Nachbarn zu entwickeln. Es gab bescheidene Versuche, österreichische Schulen in diesen Ländern zu gründen (nur Prag und Budapest), die Kulturinstitute klagen seit Jahren über weniger Möglichkeiten, wenngleich die kulturelle Verbindung in diesen Raum nach wie vor gegeben ist.

Gerade in den Bereichen Musik, Literatur und Architektur haben wir diesen Verbindungen unendlich viel zu verdanken, aber die wissenschaftliche Pflege haben wir vernachlässigt. Die Leistungen, die hier bisher erbracht wurden, sind gewiss anzuerkennen. Ob wir aber den Standard halten können, ist fraglich.

Wenn es gegenwärtig eine spezifische österreichische Aufgabe gibt, so ist es die Pflege enger Verbindungen mit diesen Räumen, auch wenn so manche politische Entwicklung schwer verständlich ist. Die Diskussion, welche Zäune und Mauern zu errichten sind, beherrscht die öffentliche Debatte, nicht aber die Frage, wie wir besser zusammenarbeiten könnten, um gemeinsam das europäische Schicksal zu beeinflussen.

Gerade die „Gedenktage“ rund um das Ende der Donaumonarchie sollten ein Anlass sein, sich der intensiveren Nachbarschaftspflege zu widmen. Wir haben schon bisher davon profitiert, und wir können hinsichtlich des Glücks und Unglücks in diesem Raum auch viel für die Zukunft lernen.

Dr. Erhard Busek (*1941) war von 1978 bis 1987 Vizebürgermeister von Wien. Von 1991 bis 1995 war er Bundesparteiobmann der ÖVP und Vizekanzler einer Großen Koalition.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2018)

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