Aus 21 Trägern mach fünf: Aber rechnet sich das?

Die Regierung will das Sozialversicherungssystem reformieren. Nur fehlt ihr bisher dafür eine eingehende Analyse.

Die Regierung will die bestehenden 21 Träger der Sozialversicherung auf fünf reduzieren. Die neun Gebietskrankenkassen sollen zu einer Österreichischen Krankenkasse und die Sozialversicherungsanstalten der Selbstständigen und Bauern (vermutlich einschließlich der Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau) zu einer einzigen Selbstständigenanstalt verschmolzen werden.
Bestehen bleiben sollen offenbar die Pensionsversicherungsanstalt und die Sozialversicherungsanstalt der Beamten. Als Nummer fünf käme eigentlich nur die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (für Arbeitnehmer und Selbstständige) in Betracht.
Neben den eben genannten 15 Anstalten bestehen jedoch noch fünf Betriebskrankenkassen und die Versicherungsanstalt des Notariats. Was soll mit ihnen geschehen? Die Notariatsversicherung wird ausschließlich von ihren Mitgliedern finanziert und bei den Betriebskrankenkassen trägt die gesamten Verwaltungskosten und allfällige Abgänge das jeweilige Unternehmen. Ihre Abschaffung und Einbeziehung in die fünf angestrebten Versicherungsträger wäre daher ein klares Verlustgeschäft für die Beitragszahler und macht keinen Sinn, wenn es um deren Entlastung geht, wie die Bundesregierung betont.

Zersplitterung der Aufgaben

Abgesehen von dieser Unstimmigkeit des Gesamtprojekts stellt sich die Frage, was mit der Auflösung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erreicht werden kann. Es handelt sich dabei um eine auf die Versorgung der Opfer von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten durch Heilbehandlung, Rehabilitation und Versehrtenrenten hochspezialisierte Anstalt.
Sie betreut nicht nur Arbeitnehmer und Selbstständige, sondern auch Schüler und Studenten und Mitglieder von freiwilligen Hilfsorganisationen. Ihr wurde zudem die Vorsorge für die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und die Wiedereingliederung der Opfer in das Arbeitsleben übertragen.
Da diese Leistungen nicht verringert werden sollen, müssten ihre Aufgaben von anderen Trägern übernommen werden. Diese besitzen aber jeweils nur Teilkompetenzen, weshalb es zu einer Zersplitterung der Aufgaben kommen müsste.
Heilbehandlung und Rehabilitation würden wohl in die Krankenversicherung übersiedeln. Die Krankenkassen müssten ihre Leistungen dafür ausdehnen, gleichzeitig aber auch ihre Mitglieder unterschiedlich behandeln – je nachdem, ob sie Arbeits- oder Freizeitunfälle erlitten haben.
Mit der Gewährung von Renten hat die Krankenversicherung nichts zu tun. Diese Aufgabe müsste daher die Pensionsversicherung übernehmen, die bisher für die Gewährung von Invaliditätspensionen zuständig ist. Das aber bedeutet eine erhebliche Mehrbelastung, da sich die Voraussetzungen für Versehrtenrenten und Invaliditätspensionen sowie deren Berechnung erheblich unterscheiden und daher auch weiterhin getrennt bearbeitet werden müssten.
So muss bei Versehrtenrenten – anders als bei Pensionen – der konkrete Unfallhergang und der genaue Grad der eingetretenen Minderung der Erwerbsfähigkeit genau untersucht werden, was freilich spezifische Kenntnisse voraussetzt.
Für die Unfallverhütung gibt es derzeit keinen passenden Träger. Die erforderliche umfassende Vorsorge für die Bedürfnisse des Opfers eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit, die ein spezialisiertes Personal verlangt, das die Bedürfnisse des Versicherten als eine Einheit sieht, ließe sich daher nicht mehr verwirklichen.

Besondere Konstruktion

Nicht beachtet wurde in der öffentlichen Diskussion eine weitere Sonderlage der Unfallversicherung. Die Beiträge für die Unfallversicherung werden ausschließlich von den Arbeitgebern bezahlt, während sich die Beitragslast in den übrigen Zweigen auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer verteilt. Das findet seine Begründung in der besonderen Konstruktion der Unfallversicherung.
Das Problem des Arbeitsunfalles ist erstmals mit Beginn der Industrialisierung bewusst geworden, als ungeschulte Kräfte in Massen aus dem flachen Land in die neu errichteten Fabriken strömten und dort an gefährlichen Maschinen arbeiten mussten, was zu einer großen Anzahl von Unfällen führte. Die Unfallopfer konnten sich nur an ihre Arbeitgeber wenden und Ersatz für die Kosten der Heilbehandlung und des eingetretenen Körperschadens verlangen.
Nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechts hatten sie zu beweisen, dass der Arbeitgeber den Unfall verschuldet hat. Sie mussten dazu teure Gerichtsverfahren anstrengen, den schwierigen Verschuldensnachweis erbringen, während der Arbeitgeber einwenden konnte, die Arbeitnehmer hätten den Schaden mitverschuldet. Zudem trugen die Unfallopfer das Risiko, dennoch nichts zu erhalten, wenn ihr Arbeitgeber insolvent wurde.

Vorteile für alle Seiten

Änderungen des Haftpflichtrechts erwiesen sich als nicht ausreichend. Daher kam man auf die Idee, eine obligatorische Haftpflichtversicherung der Arbeitgeber für Arbeitsunfälle einzuführen, die allen Vorteil brachte.
Arbeitnehmer mussten keine Prozesse mehr gegen ihre Arbeitgeber führen, sie erhielten auch bei Eigenverschulden die Leistungen und das Risiko der Insolvenz war ausgeschaltet. Ein weiterer Vorteil bestand darin, dass sich der neue Versicherungszweig voll auf das Risiko des Arbeitsunfalls spezialisieren konnte, was vor allem zu erheblichen Verbesserungen in der Unfallchirurgie in den neuen Unfallkrankenhäusern führte. Der Vorteil für die Arbeitgeber bestand darin, von der Führung von Prozessen und Entschädigungszahlungen befreit zu sein.
Bei einer Aufteilung der Aufgaben der Unfallversicherung müssten daher auch die Beiträge aufgeteilt werden. Würden sie, was zu erwarten wäre, in dem allgemeinen Etat der Krankenversicherung aufgehen, bestünde keine Gewähr, dass auch weiterhin ausreichende Mittel für die Unfallheilbehandlung und Rehabilitation vorhanden sind.

Steigende Beitragsbelastung

Zusammenfassend ergibt sich daher, dass bei einer tatsächlichen Reduzierung auf fünf Träger der Sozialversicherung die Beitragsbelastung für die Mitglieder der Betriebskrankenkassen steigen.
Mit der Auflassung der eigenständigen Unfallversicherung würde die umfassende Betreuung der Opfer von Arbeitsunfällen aus einer Hand ihr Ende finden und wegen der Zersplitterung der Aufgaben würden unnötige neue organisatorische Herausforderungen geschaffen.
Das Anliegen, Kosten zu sparen, hat auch in der Sozialversicherung volle Berechtigung. Seine Verwirklichung setzt aber eine eingehende Analyse ihrer Aufgaben und der zu ihrer optimalen Erfüllung erforderlichen Strukturen voraus. Daran scheint es bisher jedoch zu fehlen.

DER AUTOR

Theodor Tomandl (*1933 in Baden) ist emeritierter Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien, wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Schriftleiter der „Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht“. Tomandl war Vorsitzender der österreichischen Pensionsreformkommission.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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