Rütteln an alten medienpolitischen Fronten

Bei einer Enquete diese Woche soll die Zukunft des ORF erörtert werden. Ein wichtiger Punkt für einen zukunftsfähigen Sender bleibt wohl ausgeklammert: Wie der ORF aus dem Griff der Parteipolitik befreit werden könnte.

Wohin steuert der ORF? Soll es künftig eine verstärkte Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk geben? Werden gewisse Beschränkungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Online-Bereich aufgehoben? Und wie soll Österreichs größte Medienorgel künftig finanziert werden? All diese Fragen werden diese Woche im Rahmen einer Medienenquete erörtert.

Kaum ein Thema hat die Bundesregierung seit ihrem Amtsantritt so begleitet wie die Frage, was sie mit dem ORF vorhat. Vor allem dessen Finanzierung über Programmentgelte, die letztendlich die Lebensader des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darstellen, rückte dabei verstärkt in den Fokus. Mit Spannung blickt die heimische Medienlandschaft daher dieser zweitägigen Enquete entgegen. Sie soll laut Bundesregierung der Startschuss sein, um „alteingesessene medienpolitische Frontlinien aufzuheben und die Perspektiven und Herausforderungen des Medienstandorts Österreich in den Mittelpunkt zu stellen.“

Kooperation mit Privaten

Bedeutet im Klartext: Die Regierung plant, das Verhältnis in der Medienlandschaft neu zu ordnen. Weg vom reinen Konkurrenzdenken zwischen dem ORF und seinen Mitbewerbern, hin zu verstärkten Kooperationen, um gegen globale Player wie Apple oder Google reüssieren zu können. Dennoch muss es dabei ein klares Bekenntnis zu einem starken ORF geben, ohne gleichzeitig den Privaten jeglichen Spielraum zu nehmen.

Die oftmals gescholtenen Programmentgelte bedeuten zwar einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Privatrundfunk, im Gegenzug hat der ORF jedoch einen öffentlich-rechtlichen Auftrag zu erfüllen. Darunter demokratiepolitisch unverzichtbare Aufträge wie etwa die Förderung von Minderheiten, der österreichischen und europäischen Identität sowie der Auftrag an ein inhaltlich ausgewogenes Gesamtprogramm, das sämtliche Gesellschaftsschichten zu berücksichtigen hat. Man denke etwa an Ö1 oder FM4.

All das hat den Aufstieg des ORF zu einem nationalen Identitätsstifter begünstigt. Dazu trägt auch sein umfassendes Archiv bei, dessen Öffnung und Zugang für andere Medien ein Teil der zukünftigen Kooperationen sein könnte. Auch die Problematik, dass immer mehr Sportveranstaltungen hinter einer Pay-TV-Schranke verschwinden, werden weder der ORF noch ein Privatanbieter allein überwinden können.

Vielmehr ist dies durch gesetzliche Regelungen auf europäischer Ebene zu beantworten. Dabei wäre ein gemeinsames Auftreten zwischen dem ORF und seinen Mitbewerbern durchaus sinnvoll.

Finanzierung als Gretchenfrage

In einem modernen dualen Rundfunksystem sollte ein öffentlich-rechtlicher Anbieter der Platz für unaufgeregte, neutrale Information sein und den Menschen Orientierung in der heutigen Informationsflut geben. „To inform, to educate, to entertain“, nennt es die BBC. Soll heißen: Dafür, dass der ORF jährlich rund 600 Millionen Euro an Programmentgelten erhält, muss ein Unterschied zu den Privaten – der viel zitierte Public Value – erkennbar sein. Doch wo ist dieser abseits des Informationsbereiches sichtbar? Die Antwort liegt auf der Hand.

Fast jeder Österreicher/jede Österreicherin nutzt den ORF in der einen oder anderen Form täglich: Sei es durch die Bundesland-Heute-Sendungen, die Regionalradios, die TV-Thek, die Website orf.at oder durch eine der zahlreichen Off-Air-Aktivitäten wie die Spendenaktion „Licht ins Dunkel“ oder das „Team-Österreich“.

Wie beliebt sind beim Publikum das Neujahrskonzert, die Wiener Festwochen oder die Kamerafahrten vor Skiübertragungen? Qualität, die eben ihren Preis hat. Durch einen Wegfall oder eine drastische Kürzung der Programmentgelte wären all diese Leistungen in diesem Umfang nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Und dennoch. Trotz dieses umfassenden Gesamtangebotes muss sich der ORF den Vorwurf gefallen lassen, mit ORF eins zu sehr auf US-Serien anstelle von Information und Eigenproduktionen zu setzen. Zu Lasten seiner Unverwechselbarkeit. Diskussionswürdig ist zudem, ob die Rundfunkgebühren ähnlich wie in Deutschland in Form einer Haushaltsabgabe entrichtet werden sollten. Damit wären sämtliche Fragen, wer tatsächlich Rundfunkgebühren zahlen muss, ad absurdum geführt. Andererseits bedeutet eine Finanzierung unmittelbar aus dem Budget auch stärkeren Einfluss der politischen Entscheidungsträger und damit eine leichtere Verwundbarkeit des Öffentlich-Rechtlichen.

Langfristige Absicherung

Wünschenswert wäre eine (verfassungs-)gesetzliche Regelung, mit der die Finanzierung des ORF langfristig abgesichert wäre und diese dem tagespolitischen Druck der Regierungsparteien entziehen würde. Eher als bei der Finanzierung dürfte der Gesetzgeber ohnehin im Online-Bereich an Veränderungen denken. Einerseits muss ein öffentlich-rechtlicher Anbieter auch in diesem Markt aktiv sein dürfen, um mit den Privaten sowie globalen Playern Schritt halten zu können. Andererseits bedeuten zu große Freiheiten in diesem Bereich auch eine enorme Konkurrenz für die Zeitungen.

Gerade heimische Qualitätsmedien konnten sich im Online-Bereich ein zweites Standbein aufbauen. Dem ohnehin schon übermächtigen ORF hier sämtliche Freiheiten einzuräumen, würde den Zeitungsmarkt wohl massiv in Bedrängnis bringen.

Jedenfalls wäre der Gesetzgeber gut beraten, gewisse Online-Beschränkungen im ORF-Gesetz aufzuheben. Etwa jene Regelung, wonach der ORF seine in der TV-Thek angebotenen Inhalte längstens sieben Tage bereitstellen darf. Zudem darf die regionale Berichterstattung aus den Bundesländern im Online-Bereich 80 Tagesmeldungen pro Bundesland und Kalenderwoche nicht überschreiten. Welchem privaten Rundfunk- oder Zeitungsanbieter würde es schaden, sollte es eine 81. berichtenswerte Meldung geben?

Politik will ORF weiter steuern

Ein ganz entscheidender Punkt für einen zukunftsfähigen ORF wird aber wohl auch bei der anstehenden Medienenquete fehlen. Die tatsächliche Entpolitisierung der ORF-Aufsichtsgremien, insbesondere des Stiftungsrates. Rechtlich seit 2001 vollzogen, ist dieses Gremium realpolitisch nach wie vor in parteinahen Freundeskreisen organisiert. Die Politik behält sich dadurch Steuerungsmöglichkeiten im wichtigsten Medium des Landes vor.

Bleibt dieser entscheidende Punkt ausgeklammert, besteht auch in Zukunft die Gefahr, dass die Geschicke eines Unternehmens, in dem rund 3000 Mitarbeiter beschäftigt sind, davon beeinflusst bleibt, ob den Regierungsparteien ein ZiB-Beitrag oder Kameraschwenk gefällt oder nicht.

Möge die Aufhebung der „alteingesessenen medienpolitischen Frontlinien“ auch in diesen Bereich vordringen.

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Dr. Matthias Petritsch
studierte Rechtswissenschaften in Graz sowie Journalismus und Neue Medien in Wien. In seiner Dissertation analysierte er den Public Value des ORF gegenüber den privaten Mitbewerbern. Er ist als Jurist am Bundesverwaltungsgericht sowie in der OPCAT-Kommission der Volksanwaltschaft tätig. Daneben arbeitet er als freier Journalist. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2018)

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