Gastkommentar

Schlaue Maschinen und der tumbe Homo sapiens

Von KI bis zu Killerrobotern: Die Vergötzung der Technik in unserer Gegenwart ist nur die Kehrseite ihrer Dämonisierung.

Ein gerüttelt Maß an Technikskepsis gehört in Österreich genauso zur kulturellen Identität wie die Burg oder Córdoba. Die eher unscheinbaren Orte Zwentendorf und Hainburg sind im kollektiven Gedächtnis längst zum Mythos verschmolzen, der die sagenhafte Geschichte des erfolgreichen Widerstands gegen gigantische Technisierungsprojekte erzählt. Österreich, ein kleines Land als einsamer Vorreiter im Kampf gegen das blinde Technikvertrauen der Nachkriegsära.

Mit der hartnäckigen Ablehnung gentechnisch veränderter Lebensmittel wurde diese Erzählung sodann bis in die Gegenwart erfolgreich fortgeschrieben.

Doch das sind die Technikkonflikte von gestern, als die Digitalisierung von unserem Alltag so weit entfernt war wie ein Urlaub auf dem Mars. Heute bewegen uns Geschichten von selbstfahrenden Autos, intelligenten Kühlschränken und Drohnen, die praktisch alles können. Besonders gebannt verfolgen wir Ankündigungen einer vierten industriellen Revolution, im Digital-Sprech Industrie 4.0 genannt. Die allumfassende Vernetzung von Menschen, Maschinen und Logistik soll eine selbstorganisierte Produktion auf den Weg bringen, in der – so prophezeien Kritiker – Algorithmen unsere Autonomie absorbieren werden und der Mensch als potenzieller Störfaktor in hochgradig effizienten Prozessen erscheint.

Schöpferische Zerstörung

Vor allem aber erwecken aktuelle Meldungen über selbstlernende Roboter, intelligente Algorithmen und autonome Fahrzeuge den alten Albtraum der Industriemoderne zu neuem Leben: dass die Technik den Menschen überflüssig macht.

Die Hälfte aller heutigen Jobs in der westlichen Welt könnte 2030 der Digitalisierung zum Opfer fallen, warnen düster zwei Forscher aus Oxford. Ihre rote Liste bedrohter Berufe ist vor allem ein Beweis für den hartnäckigen Aberglauben, dass die Arbeit verschwindet, wenn die Maschine die Handarbeit ersetzt. In diesem Sinne hat schon Marx die Wirkung der Maschinerie als „furchtbarste Geißel“ für die Arbeiterschaft bezeichnet – und ist damit gründlich falsch gelegen.

In Wirklichkeit trifft Schumpeters Formel von der schöpferischen Zerstörung die Sachlage viel besser. Zwar zerstört die Automation Arbeitsplätze, schafft aber auch neue. Besser qualifizierte Arbeiter sind notwendig, um unerwünschte Folgen der Technisierung im Betrieb in den Griff zu bekommen.

Die Soziologie spricht von der „Ironie der Automatisierung“. Am historischen Beispiel: Als Marx 1848 das „Kommunistische Manifest“ schrieb, waren 85 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt, heute sind es drei Prozent. Aber nicht alle sind arbeitslos und ganz offensichtlich auch nicht auf die Stufe von Dienstboten und Mägden abgesunken, wie Marx dem Kapitalismus seiner Zeit vorrechnete. Doch wer die Technisierung als Nullsummenspiel versteht, für den ist der Kampf Mensch gegen Maschine die wahre Brutalität.

Im öffentlichen Diskurs begegnet uns die Technik nicht nur als Existenzgefährdung, sondern zuweilen auch als Demokratiegefährdung. Früher, im Konflikt um die Kernenergie, war es die Angst vor einem „Atomstaat“ (Robert Jungk), der bürgerliche Freiheitsrechte aushöhlt, um Großtechnologien gegen die Proteste der Bevölkerung am Laufen zu halten.

Heute, im Zeitalter der Digitalisierung, dominiert eher die Angst vor dem Verlust der Privatsphäre, sei es durch Vorratsdatenspeicherung, durch die kommerzielle Verwendung unserer Datenspuren im Netz oder sei es – wie zuletzt im Facebook-Skandal – durch die unerlaubte Nutzung privater Daten zum Zweck der Wahlkampfmanipulation.

Können Maschinen es besser?

Diese vielfältigen Ängste vor der Technik werden derzeit kompensiert durch ein rätselhaftes Vertrauen in die Allmacht der Technik. Wir erleben eine Mischung aus frommer Algorithmenverehrung und demütiger, fast schon autoaggressiver Relativierung der menschlichen Intelligenz. Ob Texteanalysieren oder Autofahren, Menschenpflegen oder Kriegeführen – es gibt fast nichts mehr, was die schlauen, smarten Maschinen nicht besser können als der tumbe Homo sapiens.

Wer schützt das Leben von Zivilisten an den vielen Kriegsschauplätzen der Welt am besten? Klar, Killerroboter. Die operieren in unübersichtlichen Situationen effizienter und damit wohl auch moralischer als das fehleranfällige, emotionsgesteuerte Killerwesen Mensch. Dass wir dabei sind, die Verantwortung für das Töten an Maschinen abzugeben, ist nicht weniger beunruhigend als die Kapitulation vor den Schwierigkeiten politischer Weltverbesserung. Eine Welt ohne Kriege gibt es nur noch in der naiven Vorstellungswelt von Kindermärchen und Althippies.

Der Transhumanismus

Radikale Technik gilt zunehmend als beste Lösung für die großen Herausforderungen der Gegenwart. Nur eine kompromisslose Technikoffensive kann die globale Klimaerwärmung stoppen (Geoengineering), globale Ressourcenprobleme lösen, den Tod überwinden (Google forscht) und neue Lebensräume mit Perspektive eröffnen (auf dem Mars). Alle Bedrängnisse und Unzulänglichkeiten des Mängelwesens Mensch verschwinden in den Optimierungsfantasien eines Human Enhancement.

Aus der kritiklosen Technikeuphorie ist mittlerweile eine soziale Bewegung entstanden, der Transhumanismus. Erklärtes Ziel dieser Bewegung ist es, mittels einer Fusion von Biotechnologie und künstlicher Intelligenz die physischen und kognitiven Grenzen des Menschseins zu überschreiten oder, besser, ganz abzuschaffen.

Gerade in den USA ist der Transhumanismus bereits zu einer politisch wahrnehmbaren Kraft geworden, spätestens seit der Exjournalist Zoltan Istvan als Kandidat der Transhumanistischen Partei für das Präsidentenamt kandidierte, monatelang mit seinem „Immortality Bus“ durch das ganze Land tourte und für das ewige Leben auf Erden warb.

Die Vergötzung der Technik in unserer Gegenwart ist nur die Kehrseite ihrer Dämonisierung. Wer Chancen und Risken neuer Technologien nicht halbwegs realistisch einzuschätzen weiß, gerät leicht in Gefahr, sich die Technik als rettende oder strafende Gottheit vorzustellen. Was derzeit verloren zu gehen scheint, ist eine gesunde Skepsis gegenüber technophilen Heilsversprechen, genauso wie eine gewisse Gelassenheit in der Begegnung mit neuen Technologien.

Polarisierung vermeiden

Anstatt zwischen romantisierender Verdammung und kritikloser Idealisierung der Technik hin und her zu pendeln, sollten wir uns um eine nüchtern-rationale Einschätzung der Technik und ihrer Folgen bemühen, so wie dies seit Kurzem der Nationalrat in Kooperation mit der Technikfolgenforschung tut.

Analyse, sachlich, rational – das klingt zwar alles langweilig, hilft aber, unnötige Polarisierungen zu vermeiden und das öffentliche Erregungslevel zu senken.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Alexander Bogner
(*1969 in München) studierte Soziologie an den Universitäten Salzburg, Marburg und Frankfurt am Main. Seit 2017 ist er Professor für Soziologie an der Universität Innsbruck, seit 2011 forscht er am Institut für Technikfolgenabschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Sein jüngstes Buch: „Gesellschaftsdiagnosen. Ein Überblick“, Beltz Juventa).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2018)

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