Die Berührungsangst der SPÖ mit Karl Marx

Sozialdemokratische Parteien üben sich zum Jubiläum in vornehmer Zurückhaltung.

Die Feierlichkeiten zum 200sten Geburtstag von Karl Marx haben sich in bescheidenen Grenzen gehalten. Hätte es nicht einige TV-Dokumentationen und Medienberichte über das Leben von Marx gegeben, der zusammen mit Friedrich Engels zum einflussreichsten Theoretiker des Kommunismus und Sozialismus wurde, wäre das Vergessen statt dem Gedenken im Vordergrund gestanden. Bloß China versäumte es nicht, den geistigen Schöpfer des Marxismus auf und ab zu feiern. Ja, man spendete sogar seiner Geburtsstadt Trier ein mehr als fünf Meter hohes Denkmal. Sozialistische und sozialdemokratische Parteien übten sich dagegen in vornehmer Zurückhaltung. Nur nicht anstreifen, lautete die Devise.

Das traf auch auf die SPÖ zu. Vergessen wurde dabei, dass gerade hierzulande der sogenannte Austro-Marxismus bis in die 1970er-Jahre heftig gepflegt und hochgehalten wurde. Es dauerte bis 1991, ehe sich die SPÖ von sozialistisch auf sozialdemokratisch umtaufte. Und das von Marx geprägte Prinzip des Klassenkampfes wurde nur schrittweise unter den roten Teppich gekehrt. Vor einem Jahr versuchte Christian Kern mit dem Slogan, „Holen Sie sich, was Ihnen zusteht“ noch eine Art Wiederbelebung. Jetzt ist man auf der Oppositionsbank gelandet. Im neuen Programm der SPÖ findet man nun weder den Namen Marx noch den Begriff Klassenkampf.

Dass offenbar sozialdemokratische Parteien eine solche Berührungsangst haben, mit Karl Marx identifiziert zu werden, hat mehrere Gründe. Einen bildet das Umbruchsjahr 1989. Binnen weniger Monate musste der reale Sozialismus, wie (zum Leidwesen sozialdemokratischer Bewegungen) die kommunistischen Parteien ihr System nannten, politischen Konkurs anmelden. Das sozialistische Gesellschaftsmodell war gescheitert.

Ein anderer Grund hängt mit dem Wandel des Wahlverhaltens zusammen. Die starren Parteibindungen befinden sich in Auflösung. Das bekam bereits 1990 als erste Partei sogar die ÖVP zu spüren. Die Entwicklung bei den Sozialdemokraten ist freilich besonders symptomatisch. Noch in den 1990er-Jahren zählte die SPÖ gut 600.000 Mitglieder, heute sind es nur noch 180.000.

Mittlerweile sind die Sozialdemokraten quer durch Europa auf Sinnsuche. Der deutsche Politiker Gregor Gysi widmete Karl Marx zum 200sten Geburtstag ein Buch, in dessen Untertitel sich das Dilemma widerspiegelt, in dem heute die Linken stecken: „Warum wir eine neue Gesellschaftsidee brauchen.“

Visionsverlust links und rechts

An dieser Stelle lohnt sich ein geschichtlicher Nachhilfeunterricht. Denn nicht nur linke, sondern auch rechte Volksparteien leiden unter Visionsverlusten. Es gehört zu den besonderen Zufällen der Geschichte, dass heuer nicht nur Marx, sondern auch sein ideologischer Widerpart vor 200 Jahren geboren wurde: Karl Freiherr von Vogelsang. Geboren wurde er 1818 in Schlesien, 1864 kam er nach Österreich und wurde hier zum Wegbereiter der katholischen Arbeitnehmerbewegung. In seinen Schriften postuliert er als Kontrapunkt zum Klassenkampf das Prinzip der „Partnerschaft“ als das tragende Element für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Der sozialdemokratische Publizist Norbert Leser hat schon vor Jahren die Auseinandersetzung zwischen den politischen Lagern auf den Punkt gebracht, indem er feststellte, dass das Gesellschaftsmodell der Partnerschaft über jenes des Klassenkampfes gesiegt habe. Darum seien die Volksparteien zu beneiden. Und sie wären gut beraten, das Prinzip der Partnerschaft in allen Bereichen auch zu leben.

Mag. Herbert Vytiska (*1944) war 15 Jahre lang Sprecher des früheren ÖVP-Chefs Alois Mock. Heute ist er Politikberater in Wien.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2018)

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