Wieso immer das „geringere Übel“ wählen?

Die einzige Chance, aus der Bundespräsidentenwahl noch etwas zu machen, ist, weiß zu wählen.

Die Kritik an den potenziellen Weißwählern wird immer lauter. Eigentlich verdächtig: Denn im Grunde können sie niemandem wirklich schaden, die Wahlbeteiligung erhöhen, vor allem aber ein Signal senden, dass wir endlich grundlegende Systemreformen brauchen – und dass sich auch der alte und neue Bundespräsident dafür einsetzen sollte! (Aber vor Kritik am System haben offensichtlich alle die größte Angst, denn dann können sie einander nicht mehr gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben...)

Interessantes Phänomen: Fischer-Wähler sagen, Weißwählen schadet Fischer, Rosenkranz-Wähler, es schade Rosenkranz. Jeder schließt von sich auf andere – das Wahlresultat bliebe damit also ziemlich unverändert. Das Weißwählen nützte allerdings der Republik – und um die sollte es wohl gehen! (Und was die sogenannten „Wahlempfehlungen“ betrifft: Es sind immer noch die Bürger, die den Präsidenten wählen, nicht irgendwelche Parteien.)

Signalwirkung

Wer hat ein Problem mit den Weißwählern? Wer Weißwählen als „undemokratisch“ bezeichnet, entlarvt sich letztlich selbst. Kritik am System an sich wird damit als „unkorrekt“ punziert. Die gleichen Leute, die etwa die ÖVP kritisiert haben, weil diese keinen eigenen Kandidaten aufgestellt hat, erklären uns jetzt mit erhobenem Zeigefinger, Weißwähler hätten sich quasi zu genieren. Doch inwiefern wäre eigentlich das Votum für einen chancenlosen Kandidaten einem Signal für einen grundlegenden Systemwechsel vorzuziehen? Es ginge doch viel eher darum, dem Weißwählen einen höheren Sinn zu verleihen.

Alle Profiteure des Status quo haben anscheinend instinktiv Angst davor, dass sozusagen das „Gleichgewicht des Schreckens“ verschoben werden könnte. Nicht auszudenken, wenn die Leute einmal ihre Gewohnheiten änderten: Der Wähler hat doch bitte weiterhin das geringste Übel zu wählen – selbst, wenn es dadurch immer größer wird.

Man stelle sich andererseits einmal die mögliche Signalwirkung nach der Wahl vor, wenn etwa 15 oder 20Prozent der Wähler weiß gewählt haben: Ein deutlicheres Lebenszeichen der Demokratie (also des Souveräns, nicht der Parteien!) kann man sich schwer vorstellen. (Anstelle von 50Prozent Nichtwählern.) Das wäre ein Aufbruch. Und Heinz Fischer würde wohl ein viel besserer Präsident werden. (Auch wenn er ja trotzdem durchaus 80 Prozent der gültigen Stimmen erreichen dürfte.) Es wäre auch eine Botschaft an ihn, sich stärker für überfällige Reformen einzusetzen, auch kritischer gegenüber den Parteien aufzutreten. Etwas gegen die allgemeine Politikverdrossenheit zu unternehmen.

Heinz Fischer ist o.k. Er bleibt Präsident. Müssen wir ihm aber huldigen? Ein zu großer Triumph könnte eher die Gefahr einer gewissen Hybris bergen. Eine weiße „Welle“ könnte andererseits ein geradezu erhabenes Zeichen für die Eigenständigkeit des Souveräns sein. Ohne jede Rebellion – die sonst nämlich droht, über kurz oder lang. Ganz zivilisiert: Junge Pflänzchen einsetzen in den alten „Bestand“ – bevor das ganze System kollabiert.

Reform statt gehässiger Kritik

Eine Bewegung der Weißwähler könnte sogar zu einem langfristigen Projekt werden – getragen von Leuten, die nicht selbst etwas werden wollen, sondern lediglich den Boden aufbereiten möchten. Gleichsam als Beginn einer Reformbewegung, etwa in Form eines Laienkonvents, zu dem sich jeder melden kann, der eine bestimmte Zahl an Unterschriften gesammelt hat (theoretisch könnte man auch losen) – und welcher dann aus der eigenen Mitte Vertreter zu einem Österreich-Konvent wählt. Die Konzepte sollten zwar von Experten erarbeitet werden – auswählen könnten dann aber die Bürgervertreter (statt der üblichen Verdächtigen des Parteienstaates).

Wir brauchen kein Parteiengezänk, keine gehässige Kritik an einzelnen Politikern (man muss ja schon fast froh sein, dass sich überhaupt noch jemand den Job antut), sondern eine umfassende und grundlegende Systemreform. Nicht gegen irgendwelche Parteien oder gar Personen – sondern für ein besseres System. (Stichwort: Bürokratieabbau, Sparsamkeit, Wahlrechtsreform, direkte Demokratie, Parteienfinanzierung.)

„Was kann aber zum Beispiel Heinz Fischer dafür?“, fragen manche vielleicht. Nun, was hat er andererseits dagegen getan, ließe sich entgegnen. Und: Er wird gewinnen, was will er noch? Wahlen sind ja keine Volkszählungen, sondern seltene Gelegenheiten, bei denen der Souverän der Politik eine Botschaft vermitteln kann. Und Wählerstimmen sind eine Auszeichnung, keine Selbstverständlichkeit. Man muss sie sich verdienen. (Und wenn wir immer weiter brav „geringere Übel“ wählen, werden diese eben immer größer.)

Die einzige Chance, aus dieser Wahl wenigstens noch irgendetwas zu machen, ist hinzugehen – und weiß zu wählen!

Die Wahl ist längst entschieden. Sie ist damit eigentlich sinnlos – außer es gelingt, ihr einen neuen Sinn zu geben. (Sonst kommen auch noch immer mehr Menschen auf die Idee, die Volkswahl oder gar das Amt selbst wäre sinnlos.) Die Wahlbeteiligung würde jedenfalls steigen, wenn es gelänge, dem Weißwählen einen „höheren“ Sinn zu verleihen. Außerdem würden Protestpotenziale konstruktiv umgeleitet. Und man kann ja niemanden zwingen, Heinz Fischer zu wählen.

Das Land braucht jedenfalls dringendst umfassende Reformen.

Christoph Bösch, M. A., lebt und arbeitet als freier Publizist in Wien und engagiert sich bei der Initiative „Mehr Wahlrecht“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2010)

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