Auf den Hund gekommen

oder: Budgetsanierung und Nanny-Staat.

Missmutig ließ der Landesfürst seinen Blick von den Zinnen der Burg über die Dächer der Murstadt schweifen. Der Tag hatte wirklich schlecht begonnen: Bei seinem morgendlichen Rundgang im Landesgestüt hatte ihn der Dackel des obersten Pferdeknechtes nicht nur angebellt, sondern auch dem fürstlichen Lieblingszelter an den frisch polierten linken Hinterhuf gepinkelt. Der Jugend fehlte es eben an jedweder Erziehung und Ehrerbietung. Dabei konnte er den Köter nicht einmal mit einem Fußtritt in die Stallecke befördern, waren doch Hunde nach dem durch den Klimawandel bedingten Aussterben der (nur noch das Landeswappen zierenden) Panther zum neuen Landessymbol geworden und überdies mit einer Steuer von einem Dukaten belegt; und in Zeiten wie diesen konnte man auf keinen Steuerzahler verzichten.

Ja, ja, die Zeiten. Der Türke mit blauem Turban rührte sich wieder – noch zu schwach, um die Feste zu berennen, aber doch stark und hinterlistig genug, um sowohl dem Fürsten, wie dem nach seinem Stuhle gierenden schwarzen Grafen die Unterstützung der Janitscharen bei Waffengängen anzubieten – gegen saftige Tributzahlungen. Klingende Münze war allerdings rar. Die letzte Tuchkrise, die schlimmste seit Menschengedenken, hatte nicht nur die Säckelwarte des Reiches gezwungen, die herrschaftlichen Schatzkammern zur Stützung der Spinnereien und Webereien zu plündern, sie hatte auch den früheren Zehentstrom zu einem mickrigen Rinnsal verkommen lassen.

Gähnende Leere

Der Suche nach neuen Steuereinnahmen war bislang nur wenig Erfolg beschieden. So hatte der Fürst den kühnen Vorschlag einer Abgabe auf die Stiftungen von Samtmanufakturen gemacht, nur um erfahren zu müssen, dass sich eine solche im fürstlichen Besitz befand. Selbstredend hatte man diese rasch in eine Stiftung zum Studium von Handel, Wandel und Sonstigem umgewidmet, doch war die Gefahr der kaiserlichen Finanzkämmerer nicht völlig gebannt. Also herrschte im Gewölbe des Wehrturms über der Stadt gähnende Leere – vielleicht sollte er mit dem Gemäuer doch etwas anderes anfangen – der Türke war, wie gesagt, so stark auch wieder nicht und hatte Probleme mit seinen eigenen Wesiren. Nur, auch dazu bedurfte es Pfenninge, Taler und Dukaten, die eben sehr dünn gesät waren.

Gewiss, es gab diesbezüglich Erwägungen. Der Fürst hatte schon vor Monaten dem kaiserlichen Rat den Vorschlag einer Steuer auf Seidenstoffe unterbreitet – zum Ersten, weil er selbst solche nicht trug (dieses weibische orientalische Zeug schickte sich nicht für einen ehemaligen Turnierkämpen), zum Zweiten konnte sich das einfache Volk den teuren Plunder ohnehin nicht leisten, und zum Dritten waren die fetten Geldsäcke von Tuchhändlern seit der Krise äußerst unbeliebt. Nur leider hatte sich der Kaiser diese Idee zu eigen gemacht, war doch auch der Reichsschatz beängstigend geschrumpft.

Der Säckelwart des Reiches (ein Lehensherr des verruchten schwarzen Grafen) wiederum neigte zur Besteuerung von Hafer mit der Begründung, dass die Pferde dann weniger Rossäpfel auf den Straßen hinterlassen und ihr Gestank sich vermindern möge, so jedenfalls die Mär. Nur waren die Fuhrleute und die Pferdehalter davon wenig angetan – nicht zuletzt der Pergamentzar, der jederzeit feindselige kleinformatige Schriften in Umlauf bringen konnte. Von Pferden sollte er also lieber die Finger lassen, von Worten wie Steuern, Abgaben und Zehent sowieso, neigten die undankbaren Steuerzahler doch zu aufrührerischen Gedanken.

Katzen kamen nicht in Frage – seine Gemahlin würde zur Furie werden. Blieben noch: Hunde! Wie er gerade erlebt hatte, waren sie ungezogen und nur ihren Besitzern, nicht aber der Obrigkeit treu ergeben. Soeben hatten die Honoratioren der Reichshauptstadt gefordert, die Halter von Kettenhunden zur Schulung im Umgang mit ihren Vierbeinern zu verpflichten, kostenpflichtig versteht sich. Und das Volk hatte dem applaudiert. Freilich gab es von denen so viele auch wieder nicht, und der obstinate Dackel des Knechtes würde immer noch ohne zusätzlichen Obolus keifen und pinkeln. Potzblitz, das war es: ein Ukas, der jeden Hundehalter zur Schulung verpflichtete, zum Preis von 30 Silberpfennigen. Widrigenfalls wäre eine Strafe von mindestens hundert Golddukaten an den Burgvogt zu entrichten. Schließlich war das gemeine Volk zu blöde, um Hunde ohne hoheitliche Anleitung zu halten, die Schreiberlinge hätten neue Beschäftigung, die Pergamentmanufakturen und Siegelhersteller neue Aufträge, die Silberpfennige und Dukaten würden sprudeln, und Steuer hieße das auch nicht.

Kostenpflichtiger Zwangskurs

Die Landstände würden sich dem freudig anschließen – vor allem, wenn er ihnen bei Widerspenstigkeit mit dem Entzug von Pfründen und der Enthauptung jedes Vierten drohte. Natürlich würde er sich selbst rechtzeitig der landesfürstlichen Jagdhundemeute entledigen müssen, aber die Falknerei war einem Fürsten ohnehin viel angemessener.

Und so wurde – wie uns die Annalen überliefern – in der grünen Mark ein richtungsweisendes Gesetz geboren: der kostenpflichtige Zwangskurs „zur Erlassung eines allgemeinen Hundekundenachweises“.

Peter A. Ulram ist Dozent für Politikwissenschaft

an der Universität Wien und Bereichsleiter für

Politikforschung bei GfK Austria.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2010)

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