Wenn der Republik die Steuern davongaloppieren

(C) Peter Kufner
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Dass der Staat 2018 mehr Geld einnahm als ausgab, ist nicht nur der guten Konjunktur, auch den Steuerzahlern zu verdanken.

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Nun wandelt Sebastian Kurz also wirklich auf Bruno Kreiskys Spuren. Im Vorjahr haben die Staatsausgaben nicht mit den sprudelnden Steuereinnahmen mithalten können, und die Republik Österreich hat erstmals seit 1974 wieder mehr Geld eingenommen als ausgegeben.

2018 sind 426 Millionen Euro – für den Gesamtstaat Österreich, nicht den seit 1954 defizitären Bund – unter dem Strich übrig geblieben. Das Kunststück eines Überschusses ist zuletzt dem Finanzminister Hannes Androsch gelungen, in der SPÖ-Alleinregierung KreiskyII. Nun hat es also Hartwig Löger geschafft.

Zugegeben, die wirtschaftliche Situation war damals eine etwas andere: 1974 lag die Steuern- und Abgabenquote noch bei 38,7 Prozent der Wirtschaftsleistung. Davon sind wir heute weit entfernt. Denn die Steuereinnahmen sind 2018 wieder kräftig gesprudelt, in Relation zum BIP sind sie auf 42,2Prozent angewachsen – was rund 14 Milliarden Euro von der Abgabenquote zu Kreiskys Zeiten entfernt ist.

Danke, liebe LeserInnen!

Dass sich die Regierung Kurz I also über einen Überschuss im ersten Jahr ihrer Amtszeit freuen darf, ist vor allem Ihnen zu verdanken, liebe Leserinnen und Leser dieser Zeilen. Ob nun als Arbeitnehmer oder Arbeitgeberin, als Konsumentin oder Pensionist. Sie haben mit ihren Steuern dazu beigetragen, dass die Republik um 8,6 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr eingenommen hat.

Woher kommt das viele Geld? Von deutlich mehr Aufkommen bei der Lohn- und Einkommensteuer, viel mehr Körperschaftsteuer, einem Plus auch bei der Mehrwertsteuer, außerdem durch höhere Sozialabgaben dank höherer Beschäftigung. Die automatischen Steuererhöhungen im Rahmen der kalten Progression sorgten für zusätzlichen Rückenwind zu der guten Wirtschaftslage.

Für den Staat war es 2018 ein recht Leichtes, die schwarze Null zu schaffen. Wirklich erarbeitet hat sich die Politik diesen Erfolg nicht. Vom viel zitierten Sparkurs oder gar dem „Sparen im System“ ist außerhalb der sozialen Medien nicht viel zu sehen. Sozialausgaben: gestiegen. Pensionskosten: gestiegen: Gesundheitsausgaben: gestiegen. Verwaltungsausgaben: gestiegen. Wohlgemerkt sind alle diese Ausgaben auch inflationsbereinigt höher als im Vorjahr. Abzüglich der Zinsen sind die Ausgaben 2018 um 3,3 Prozent zum Vorjahr gewachsen, bei einer Inflationsrate von zwei Prozent.

Regierung und Opposition mögen noch so oft über einen Sparkurs streiten, im Großen und Ganzen ist die Regierung mit ihrem Versprechen säumig, die kommende „Entlastung Österreich“ mit Strukturreformen zu ermöglichen. Da davon noch zu wenig zu sehen ist, sollten nun vor allem vier Reformen im Fokus stehen.

Erstens, die Steuersenkung ab 2020 sollte größer ausfallen. Das mag paradox wirken, denn die Politik sollte die budgetären Spielräume ja erst vergrößern, mit Reformen in der Verwaltung, im Föderalismus, bei Pensionen und der Gesundheit. Doch ausgeglichene Budgets sind kein Selbstzweck. Mit einer großen, ambitionierten Entlastung ab 2020 steigt aber der Druck, dass die Staatsausgaben nachhaltig weniger stark wachsen. Der Familienbonus war ein erster richtiger Schritt, die nächsten sollten größer ausfallen.

Beides ließe sich dann schaffen: eine sinkende Abgabenquote und ein ausgeglichener Haushalt. Wer hingegen kleine Steuerzuckerln verteilt und wenig Strukturreformen anstößt, der bleibt dem Steuerzahler im schlimmsten Fall beides schuldig: eine deutliche Entlastung und einen effizienteren Staatsapparat.

Deutliche Entlastung bleibt aus

Zweitens, die Steuerreform sollte mit den automatischen Steuererhöhungen Schluss machen. Während in Österreich jede mögliche Entlastung im politischen Prozess diskutiert wird, sorgt die kalte Progression dafür, dass Steuererhöhungen ganz ohne Diskussion kommen. Die kalte Progression entsteht, weil zwar Löhne und Gehälter mit der Inflation mitwachsen, aber nicht die Steuertarife. Wer 2019 real gleich viel verdient wie im Vorjahr, zahlt dennoch einen höheren Durchschnittssteuersatz. Dafür muss sich aktuell kein Finanzminister rechtfertigen, für eine Steuerentlastung hingegen schon. Es wäre das Mindeste, in dieser Steuerreform dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmer von Inflationsanpassungen ihrer Gehälter und Löhne nicht mehr Steuern zahlen müssen.

Und es wäre auch für die politische Kultur in diesem Land lobenswert: Es ist ein ziemlicher Hohn für die Steuerzahler, einmal alle fünf Jahre mit dem Versprechen einer großen, größten oder allergrößten Steuerreform konfrontiert zu werden – die sie sich selbst vorfinanziert haben.

Drittens braucht es eine vernünftige Ausgabenbremse. Im Vorjahr ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt schon besser gewesen, es hat keine Kosten, sondern Erlöse aus den Bankenrettungen gegeben, und der konjunkturelle Höhepunkt wurde erreicht; die Ausgaben sind aber dennoch kräftig gestiegen, um 5,3 Milliarden Euro. Nur die Ausgaben für die Zinsen sind merklich gesunken, ohne großes politisches Zutun. Nun kann man dem Finanzminister eine gewisse Ausgabendisziplin zugestehen. Nicht umsonst hat er Zurufe von Wirtschaftsforschern – von der Agenda Austria bis zum Fiskalrat –, dass ein Nulldefizit schon 2018 möglich sein sollte, aktiv zu zerstreuen versucht. Er wollte Landeshauptleute und Ministerkollegen eben nicht auf neue kreative Ausgabenideen bringen. Aber die Budgetdisziplin in Österreich sollte künftig stärker regelbasiert erfolgen: Damit die Ausgaben nicht auch in konjunkturell guten Zeiten kräftig steigen, sollte ihr Wachstum beschränkt werden.

Vorbild kann hier Schweden sein: Dort gibt es ein Überschussziel über den gesamten Wirtschaftszyklus, flankiert von einer Ausgabenbremse, die den Spielraum der Ministerien über drei Jahre beschränkt und sie zu Überschüssen verpflichtet. Vorschläge dazu gibt es auch auf europäischer Ebene, vom deutschen Sachverständigenrat bis zur Denkfabrik Bruegel.

Hohn für Steuerzahler

Viertens braucht es eine Pensionsautomatik, um das Budget langfristig zu stabilisieren. Ex-Finanzminister Androsch hat nicht nur das letzte Nulldefizit zu vermelden, sondern auch sehr richtig bemerkt, dass zwar die Pensionen sicher seien, solange der Steuerzahler sie bezuschusst, „nur ist dann das Budget nicht sicher“. Im Vorjahr sind die Pensionskosten wieder um 1,6 Milliarden Euro gestiegen. Die Einführung einer Pensionsautomatik, die Abschaffung von Pensionsprivilegien für Beamte sowie die Anhebung des Pensionsantrittsalters für Frauen würden einen wichtigen Beitrag leisten, um den Staatshaushalt langfristig zu stabilisieren.

Auch die aktuelle Debatte um die Pflege wird früher oder später an die budgetären Grenzen stoßen, solange es keine Reformen in anderen Bereichen gibt, die hohe Ausgabensteigerungen verzeichnen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Lukas Sustala (*1986) ist Ökonom bei der Agenda Austria. Er forscht in den Bereichen Steuern, Budget und Finanzmärkte. Er war zuvor als Journalist bei „Standard“ und „NZZ Österreich“ tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2019)

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