Ein Nachzipf im Fach Energie und Klima

(c) Peter Kufner
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An der Energiefrage und am Klima wird sich unsere Zukunft entscheiden. Da hat die Greta recht. Deshalb sollte die nächste Regierung den Nationalen Energie- und Klimaplan sorgfältig überarbeiten lassen und völlig revidieren.

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Das Umweltministerium stellte am Jahresende 2018 eine Erklärung zu unserem an die EU-Kommission in Brüssel abzuliefernden Nationalen Energie- und Klimaplan ins Netz. Darin hieß es unter anderem: „Österreich unterstreicht damit die hohe Ambition, die wir uns vorgenommen haben. Die Treibhausgasemissionen von Sektoren außerhalb des Emissionshandels sollen bis 2030 um 36 Prozent gegenüber 2005 gesenkt, der Stromverbrauch soll bis 2030 sogar zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energieträgern gedeckt werden.“

Seit wenigen Tagen liegt nun die Bewertung durch die EU-Kommission in Brüssel vor. Sie ist alles andere als erfreulich und kritisiert unsere unrealistischen Vorstellungen. Wir haben einen „Nachzipf“ und müssen bis zum Jahresende nacharbeiten.

Es drohen saftige Strafen

Wie also ist es mit der angekündigten Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2030 um 36 Prozent? Österreich hat sich 2015 gegenüber der EU verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen um 36 Prozent zu senken. Schon damals war jedem Experten klar, dass dies viel zu ambitioniert war, und die Politiker anderer Länder haben wesentlich geringere Ziele ausgehandelt. Seit drei Jahren erhöhen wir sogar weiter unseren Ausstoß an Treibhausgasen, vergangenes Jahr um mehr als drei Prozent.

Wir werden daher saftige „Strafen“ für die Überschreitung der selbst gesteckten Ziele zahlen müssen, offiziell heißt das „Zertifikate kaufen“ – de facto Ablasszettel, wie zu Luthers Zeiten. Aber damals wurde mit den Geldern wenigstens eine Peterskirche gebaut.

Eine der harten Botschaften aus Brüssel, wo erkannt wurde, dass mit den bestenfalls halbherzigen Maßnahmen sich das angeberische (pardon: „ambitionierte“) Ziel, 36 Prozent Treibhausgasemissionen einzusparen, nicht erreichen lässt, lautet: Es würden höchstens 16 Prozent Reduktion sein. Brüssel will, dass wir härtere Maßnahmen ergreifen, um den Ausstoß zu reduzieren. Die von uns angegebenen Maßnahmen sind zu weich formuliert. Österreich müsse noch stärker „dekarbonisieren“, also weg von den fossilen Brennstoffen – und sparen.

Wie ist es sodann mit 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energieträgern? 2030 wird sich herausstellen, dass auch das laut Energie- und Klimaplan eintretende Wunder „100 Prozent Selbstversorgung mit erneuerbarem Strom bis 2030“ nicht eingetreten ist, besonders dann, wenn die Elektromobilität stark zunehmen sollte.

„100 Prozent Strom aus Wasser“ haben uns noch bis vor Kurzem die bekannten Kabarettisten Stermann und Grissemann vorgeplätschert – das waren schon die Richtigen dafür. Denn es war ja auch eine Kabarettszene, die da von unserem größten Versorger aufgeführt wurde.

Die Herren sind jetzt wieder zurück in ihrem Kabarett, aber die Weisheit „100 Prozent Wasserstrom“ ist von den Energieerzeugern und den Politikern verinnerlicht worden – bei uns in Österreich vertraut man Kabarettisten noch am meisten.

Importe auf Teufel komm raus

Jeder, der sich die Zahlen ansieht, weiß es: Wir importieren Strom auf Teufel komm raus, besonders im Winter, wenn die Wasserquellen in den Bergen nur verhalten sprudeln und die Flüsse nur zaghaft fließen. Und wenn der Wind auch nicht so richtig wehen will, dann schalten wir unsere effektiven Gaskraftwerke und auch die weniger effektiven Dampfkraftwerke voll ein und verheizen fossile Reserven, die wir eigentlich unseren Nachfahren hinterlassen sollten. Und verschlechtern unsere Treibhausgasbilanz.

In Wahrheit sind im Winter fast 50 Prozent unseres Stroms aus fossilen Rohstoffen erzeugt oder importiert. Und niemand kann erkennen, wie sich in den nächsten Jahrzehnten diese Lage wesentlich verändern könnte. Auch wenn wir uns sehr bemühen, dass durch Wind und Sonne wenigstens ein Teil der verbleibenden fast 50 Prozent Strom aus „Erneuerbaren“ kommt. „100 Prozent Selbstversorgung mit erneuerbarem Strom bis 2030“ kann nicht klappen, dieses Ziel sollte daher im endgültigen Energie- und Klimaplan revidiert werden.

Es muss den Menschen klargemacht werde, dass Sparen unvermeidlich ist, um einen echten – wenn auch zugegebenermaßen sehr kleinen – Beitrag zur „Klimarettung“ zu liefern. Es geht um Sparen beim Einsatz von elektrischen Maschinen, und es geht um Sparen beim Autofahren.

Harte Maßnahmen notwendig

Das aber werden die Menschen und die Lobbys, die von der Erzeugung und dem Verkauf all dieser Apparate, Autos, Kühlschränke, Waschmaschinen, Klimaanlagen etc., die vom Transport mit Lkw leben, allerdings ohne harte staatliche Maßnahmen nicht tun. Solche aber sind in unserem Energie- und Klimaplan nicht vorgesehen, werden jedoch von der EU-Kommission angemahnt. Wir sind gezwungen, noch stärker zu „dekarbonisieren“, dafür kann die Elektromobilität einen Beitrag liefern, allerdings nur, wenn zusätzlicher Strom zur Verfügung steht.

Diesen zusätzlichen Strom wird Österreich importieren müssen, und es wird mit zunehmender „Dekarbonisierung“ Atomstrom aus den gegenwärtig im Bau befindlichen oder geplanten Kernkraftwerken in unseren Nachbarländern sein. Wir werden diese Kraftwerke auch als Sicherheit für unsere Energieversorgung für den Fall von Blackouts zu Zeiten von „Dunkelflauten“ brauchen. Denn es ist zu erwarten, dass die Speicherkapazität für Strom aus den „fetten Zeiten“, wenn viel Wind weht und die Sonne scheint, noch lang nicht ausreichend vorhanden sein wird, um die „mageren Zeiten“ zu übertauchen.

Verteufelte Kernenergie

Jedenfalls werden wir den importierten Strom dringend brauchen. Die Bevölkerung hat daher das Recht, von den Verantwortlichen ehrlich über die Vorteile und Gefahren der Kernenergie unterrichtet anstatt ständig mit einer quasireligiösen Verteufelung dieser Energieform berieselt zu werden.

Die Energiefrage ist bei uns ein psychologisches Problem geworden. Ein Physiker kann kaum mehr beitragen, man benötigt Psychologen, die die verunsicherte, hinters Licht geführte Bevölkerung aufklären, sie aus der mittelalterlich anmutenden Quasireligiosität und nach Diktaturen riechender Ideologie-Verranntheit zur Rationalität zurückführen. Ein Bewusstseinswandel ist nötig – eine Psychotherapie. Sowohl für die Bürger wie für die Politiker.

Wie also bestehen wir im Herbst die Nachprüfung? Unsere neue Regierung sollte den Energie- und Klimaplan sorgfältig überarbeiten lassen und grundsätzlich revidieren. Das sollte eine wichtigere Aufgabe für die nächsten Monate sein als irgendeine andere. Denn wir müssen nicht nur als europäische Schüler ordentlich abschneiden, an der Energiefrage und am Klima wird sich auch unserer Zukunft entscheiden. Da hat die Greta recht.

DER AUTOR

Gero Vogl habilitierte sich an der Technischen Universität München. Von 1977 bis 1985 war er Professor an der Freien Universität Berlin, von 1999 bis 2001 Direktor am heutigen Berliner Helmholtz-Zentrum für Materialien und Energie. Von 1985 bis 2009: Ordinarius für Physik an der Uni Wien. Sein Forschungsschwerpunkt: Diffusionsprozesse in fester Materie, Diffusionsprozesse in Umwelt und Sprachen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2019)

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