Wir sollten anfangen, Müll zu Gold zu machen

(c) Peter Kufner
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Zu Gast beim Forum Alpbach. Solang Unternehmen den Preis für ihre Umweltschäden nicht selbst zahlen müssen, verhindern wir die notwendigen Innovationen. Dabei ist die Lösung für unser Abfallproblem längst greifbar.

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Stellen Sie sich vor, Sie sitzen beim Zahnarzt und er hat Ihnen gerade eine alte Goldkrone entfernt und diese in den Abfalleimer geworfen. Er unterbreitet Ihnen ein Angebot für eine neue Krone mit 10 g neuem Gold. Wahrscheinlich würden Sie ihn fragen, warum er erst das alte Gold wegwirft, um Ihnen dann die Kosten für neues Gold in Rechnung zu stellen.

Nun, unabhängig davon, ob Ihre Zähne noch in Ordnung sind oder Ihre Versicherung eine Zahnkrone aus Gold ablehnt und Sie sich für eine günstigere Alternative entscheiden müssen: Diese Situation erleben wir alle jeden Tag. Wir haben eine Wirtschaft aufgebaut, die auf einem ganz einfachen Modell aufbaut: Rohstoffe abbauen – Produkt herstellen – verkaufen. Beim Konsumenten setzt sich der Kreislauf mit Nutzen und Wegschmeißen fort.

Weil wir der Überzeugung sind, für steigenden Wohlstand ökonomisch wachsen zu müssen, gibt es für dieses Modell nur eine Option: Wir werden dazu motiviert, Konsumgüter immer schneller wegzuschmeißen.

Müll geht die Hersteller nix an

Am Ende des ökonomischen Prozesses ist die Situation noch eindeutiger: Müll ist definitionsgemäß kein Problem der Hersteller. Sobald das Produkt über den Verkaufstisch geht, wechselt es formal den Besitzer. Und so mag Eigentum verpflichten – auch zu einer gesetzeskonformen Entsorgung –, allerdings nur denjenigen, dem es gehört – und das ist ab dem Moment des Kaufs der Konsument. Ob es überhaupt in ausreichendem Maß Möglichkeiten gibt, um die häufig in der Produktion fest miteinander verbundene Mischung immer exotischerer Rohstoffe nachhaltig zu entsorgen bzw. zu recyceln, muss dabei niemanden interessieren – auch nicht das Unternehmen, das für das Produktdesign und den Herstellungsprozess verantwortlich ist.


Zwar können wir durchaus in vielen Fällen die Hersteller der achtlos weggeworfenen Zigarette oder der im Meer treibenden Kunststoffverpackung identifizieren – dies übernehmen inzwischen sogar intelligente „Beschämungs“-Apps. Solang niemand konkret und nachweisbar gefährdet wird, haben wir aber keinen rechtlichen Zugriff.
Müssen wir also weiter tatenlos zusehen, wie wir unseren Planeten systematisch mit Abfall bedecken? Gibt es keine Wege zu verhindern, dass sich die Rauchschwaden von inzwischen 40 % des Mülls, der weltweit unkontrolliert im offenen Feuer verbrannt wird und sich bei einigen von uns so bewunderten Marken dank der Chemikalien in den Produkten in hoch toxische Gase verwandelt, mit unserer Atemluft vermischt?


Doch, wir könnten diesen Prozess aufhalten – allerdings nur, wenn wir das System so verändern, dass in den Vorstandsvorlagen konkrete Fakten auftauchen, die ein alternatives Vorgehen betriebswirtschaftlich nahelegen bzw. erzwingen. Und hier besteht enormer Nachholbedarf.

So wäre es essenziell, dass die Verknappung von Rohstoffen in Geschäftsberichten abgebildet wird. Hier wären die Wirtschaftsprüfer längst in der Pflicht. Während sie bei jedem Unternehmen die ausgewiesenen Lagerbestände in den Bilanzen im Detail darauf prüfen, ob diese tatsächlich noch „werthaltig“ (d. h. verkaufsfähig) sind oder finanziell entwertet (d. h. abgeschrieben) werden müssen, winken sie aktuell sämtliche Risken der Beschaffung ungeprüft durch. Dabei hätten wir längst ausreichend Daten verfügbar, um die jeweilige Rohstoffverfügbarkeit der wichtigsten Materialien, die ein Unternehmen für sein Geschäftsmodell benötigt, den globalen Verbrauchsdaten gegenüberzustellen. Hieraus ergäben sich globale Risikofaktoren für die sogenannte positive Fortführungsprognose – den Nachweis durch die Geschäftsführung, dass das Geschäftsmodell auch in der Zukunft finanziell dauerhaft tragfähig ist.

Eine solche Einschränkung des Testats durch den Wirtschaftsprüfer würde den Zwang auf Unternehmen auslösen, nachhaltige Alternativen zu entwickeln – entweder indem sie die Rohstoffverbräuche senken oder aber die eigenen oder auch fremde Abfallströme als Rohstoffquellen erschließen.

Als zweite Maßnahme müsste die unternehmerische Verantwortung für den erzeugten Abfall konsequent umgesetzt werden, wie dies die EU bereits in 2008 in ihrer Richtlinie 2008/98/EG festgelegt hat. Artikel 8 dieser Richtlinie regelt eindeutig, dass jeder Mitgliedstaat Gesetze erlassen darf, um „sicherzustellen, dass jede natürliche oder juristische Person, die gewerbsmäßig Erzeugnisse entwickelt, herstellt, verarbeitet, behandelt, verkauft oder einführt (Hersteller des Erzeugnisses), eine erweiterte Herstellerverantwortung trägt“. Doch in über zehn Jahren ist nur wenig passiert.

Ablenken mit dem Plastiksack

Während Politiker gerade versuchen, durch Aktionismus bei Strohhalmen und Plastiksackerln von ihren massiven Versäumnissen abzulenken, werden die eigentlichen Probleme weiterhin nicht angetastet – dabei machen Plastiksackerln weit weniger als ein Prozent des globalen Plastikmülls aus. Nicht einmal Regelungen, die die bisherige Fehlentwicklung sogar aktiv fördern – wie zum Beispiel die Steuerbefreiung des Flugbenzins – werden geändert.

Stattdessen wird erneut mit Totschlagargumenten um sich geworfen. So wird mal der Zusammenbruch der Wirtschaft, mal die Verteuerung der wohlverdienten Mallorca-Reise herangezogen, um das fehlende Handeln politisch zu entschuldigen. Dabei muss uns längst klar sein, dass die Problemberge lediglich größer werden, je länger wir warten – verschwinden werden sie nicht. Warten ist also keine Lösung – ganz im Gegenteil. Wenn wir jetzt in einer kontrollierten, aber zeitlich adäquaten Vorgehensweise den Umbau unserer Wirtschaft beschließen würden, hätten wir Zeit genug, die notwendigen Technologien zu entwickeln, die diese Lösungen auch wirtschaftlich tragfähig machen. Fangen wir allerdings nicht an, wird der notwendige Innovationsdruck weiter ausbleiben, und wir merken den Schmerz erst dann, wenn wir gegen die ersten Wände prallen.

Dabei ist die Lösung für unser Abfallproblem längst greifbar. So wie die Papier- und die Aluminiumindustrie schon vor Jahrzehnten den Anfang gemacht haben, existieren längst auch technologisch durchdachte Technologien beispielsweise für das Kunststoffrecycling. Es fehlt lediglich die notwendige Planungssicherheit für Investoren, um die für ihren flächendeckenden Ausbau notwendigen Finanzmittel zu einer attraktiven Investitionsmöglichkeit zu machen. Denn Müll zu Gold zu machen war schon im Mittelalter eines der höchsten Ziele der Alchemisten und Könige – jetzt könnte es endlich realisiert werden.

Zur Serie „Zu Gast in Alpbach“: Wir veröffentlichen wöchentlich Gastbeiträge von Vortragenden des Europ. Forums in Alpbach.

Der Autor:

Rüdiger Fox (*1966) ist Geschäftsführer der Sympatex Technologies GmbH, Hersteller nachhaltiger Funktionstextilien – er wird im Rahmen der Wirtschaftsgespräche beim Europäischen Forum Alpbach (27.–29. 8. 2019) sprechen. Dieser Text ist die gekürzte Version eines Blogbeitrags, weitere Blogeinträge finden Sie unter:
https://blog.sympatex.com/de/

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