Was uns die Geschichte lehrt

Einige Anmerkungen zum 80. Jahrestag des Überfalls des nationalsozialistischen Deutschlands auf Polen.

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Der 1. September markiert ein trauriges Datum in der Weltgeschichte. Vor 80 Jahren überfiel Hitlerdeutschland Polen und läutete damit den grausamsten und opferreichsten Krieg der Geschichte ein. An diesem Tag gedenken wir der unzähligen Opfer dieser Tragödie, ehren die Helden und Heldinnen, die die Welt vor dem absoluten Bösen bewahrt haben. Es ist unsere heilige Pflicht ihre Taten für immer in Ehren zu halten.

Die Geschichte ist ein guter Lehrer. Sie zeigt uns, was passiert, wenn Völkern menschenverachtende Ideale aufgedrängt werden, um die Ambitionen einer Bande von machthungrigen Verbrechern zu stillen. Daher muss sie stets vor irrtümlichen Deutungen oder gezielt falschen Darstellungen geschützt werden, damit auch unsere Nachkommen die Gründe, Folgen und Lehren dieses Krieges verstehen.

Mit großer Besorgnis verfolgen wir dennoch Versuche mancher „Historiker“, die Geschichte umzuschreiben und Ereignisse der Vergangenheit in ein anderes Licht zu rücken. Dann passiert es leicht, dass aus dem Zweiten Weltkrieg ein Kampf zweier totalitärer Systeme um die Herrschaft in Europa wird. Schreckliche Verbrechen des Nazismus, der Holocaust nicht ausgeschlossen, werden verharmlost und die Schuld an dem Krieg auf die Sowjetunion verlegt. Das sind gefährliche Gedankenspiele.

Objektive Aufklärung

Bereits heute werden wir Zeugen des Auflebens der neonazistischen Ideologie: Rechtsextreme Märsche in der Ukraine und in den baltischen Staaten, bei denen ehemalige Angehörige der Waffen-SS geehrt werden, gehören leider fast zur Normalität mit stiller Duldung des Westens. Denkmäler für die bei der Befreiung Europas gefallenen Soldaten werden (leider manchmal auch auf österreichischem Boden) immer öfter Opfer von Vandalismus. Für solche Gruppierungen, aber auch für sogenannte Politiker, die ihre konjunkturbedingten Interessen verfolgen, kommt diese „neue Deutung der Geschichte“ natürlich sehr gelegen. Von immenser Wichtigkeit erscheint daher eine objektive Aufklärung der Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs, seiner Gründe und Folgen.

Ein positives Beispiel

Die historische Tatsache, dass die Sowjetunion mit Unterstützung der Alliierten die Wende im Krieg mit dem Faschismus durch enorme Opfer erzielen und nach einer Großoffensive Europa von der Naziherrschaft befreien konnte, darf weder angezweifelt, noch revidiert werden. Zu hoch ist der Preis, der für diesen Sieg bezahlt worden ist.

Was jedoch einer gründlicheren Analyse seitens der Historiker bedarf, sind die Vorläufer des Krieges, wie die gefährliche „Appeasement-Politik“ der westlichen Länder gegenüber NS-Deutschland; oder das Fehlen des politischen Willens, ein effektives System kollektiver Sicherheit zu schaffen, um einem gefährlichen Aggressor geschlossen die Stirn zu bieten. Diese Lehren der Geschichte sind auch für die heutige Weltlage von enormer Bedeutung.

Natürlich gibt es Bedarf an einer Aufarbeitung der Zeitgeschichte. Diese soll aber auf den Prinzipien der Geschichtstreue und im besten Fall im Einvernehmen der betroffenen Länder erfolgen. Als positives Beispiel dafür wäre die Arbeit der Russisch-Österreichischen Historikerkommission um Akademiemitglied Prof. Alexander Tschubarjan und Prof. Stefan Karner zu nennen.

Wir können es uns einfach nicht leisten, unbedacht mit der Geschichte umzugehen, denn: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“

Dmitrij Ljubinskij (geboren 1967) ist seit August 2015 Botschafter der Russischen Föderation in Österreich.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2019)

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