„Zeit des Totschweigens ist vorbei“: Neue Töne bei Philharmonikern

Was Philharmoniker-Vorstand Clemens Hellsberg beim Symposion „Musik, Politik und der Nationalsozialismus in Europa“ sagen wird.

Heute beginnt in Wien das musikgeschichtliche Symposium „Musik, Politik und der Nationalsozialismus in Europa“. Clemens Hellsberg, Vorstand der Wiener Philharmoniker, spricht dort über „Begegnungen mit Vertriebenen“. Hellsberg wird sich da wohl an folgendes Manuskript halten:

„Wir Philharmoniker haben uns entschlossen, die Geschichte des Orchesters von einer Gruppe unabhängiger Historikerinnen und Historiker aufarbeiten zu lassen. Das sind wir der Republik schuldig, denn immerhin erhalten wir – seit heuer über den Umweg des Staatsopern-Orchesters – jährlich eine indexgesicherte Subvention von derzeit 2,3 Millionen Euro.

Vorbei daher die Zeiten des Totschweigens der Orchestergeschichte in der NS-Zeit, vorbei die Zeiten der Geschichtsklitterung nach 1945. Nach einem intensiven Gespräch mit den Grünen haben wir diese aufgefordert, einen Konzeptvorschlag für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Orchesterpolitik in der NS-Zeit und den Umgang mit dem NS-Erbe zu unterbreiten. Es stimmt, dass wir uns bei den Grünen nach Übermittlung dieses Konzepts bloß herablassend ,für die guten Ratschläge‘ bedankt haben.

Zügige Aufarbeitung

Nun aber geht die Aufarbeitung offensiv und zügig voran. Ja, ich sage es ganz offen: Es ist uns peinlich, dass demnächst eine Monografie über ,politisierte Orchester‘ erscheint, die unsere Vergangenheitspolitik jener der Berliner Philharmoniker gegenüberstellt.

Dieser Vergleich schmeichelt uns nicht. Die Berliner Kolleginnen und Kollegen haben schon vor Jahren unabhängige Forscherinnen und Forscher darum gebeten, sich ohne Einschränkung mit allen Aspekten der Geschichte des Orchesters in und nach der NS-Zeit auseinanderzusetzen.

Vorbei auch die Zeiten, als unser jetziger Geschäftsführer Dieter Flury noch meinte, die Philharmoniker seien ,eine Gruppe von weißhäutigen männlichen Musikern, die ausschließlich weißhäutige, männliche Komponisten aufführen‘. Dieses, so Flury damals, ,rassistische und sexistische Ärgernis‘ sei ,zu akzeptieren, weil etwas herauskommt, was meiner Meinung nach nicht im selben Maß herauskommen würde, wenn man das jetzt nach falsch verstandenen Menschenrechten ändern würde‘. Das war 1996. Nicht nur tempora mutantur, sondern auch Herr Flury.

Frauenquote wird weitersteigen

Das ,speziell Wienerische‘, das Flury als Schweizer besonders schätzt, ,die Art, wie hier musiziert wird‘, habe ,sehr viel mit der Seele zu tun, und die Seele lässt sich einfach nicht von den kulturellen Wurzeln trennen, die wir hier im mitteleuropäischen Raum haben, und sie lässt sich auch nicht vom Geschlecht trennen‘. Wie gesagt, das war im letzten Millennium.

Nun sind die Zeiten andere. Selbstverständlich akzeptieren wir heute eine Frauenquote. Sie lag 1996 noch bei null und liegt jetzt schon bei drei Prozent. Ich verspreche: Sie wird weitersteigen.

Dann wird uns die Carnegie Hall nicht mehr – wie früher – wegen unserer Frauenquote ein Hausverbot androhen. Dann muss die Musikwissenschaftlerin Regina Himmelbauer nicht mehr fragen, warum es von den 70Prozent Frauen an den Musikuniversitäten kaum eine zu den Philharmonikern schafft – obwohl viele Philharmoniker an den Musikuniversitäten unterrichten. Übrigens: Seit heuer haben unsere sieben Musikerinnen eigene Uniformen – wie ihre Kollegen!“

Das also wird Clemens Hellsberg sagen. Und ab übermorgen den Reformbesen schwingen.


Dr. Harald Walser (*18.April 1953) ist Germanist und Historiker, Direktor des Gymnasiums Feldkirch und Bildungssprecher der Grünen.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2011)

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