Ein Ausweg aus der Atomenergiekrise: Kavernen-Kraftwerke

Hätte man AKW generell in 100 oder mehr Metern Tiefe erbaut, wäre der Welt 1986 Tschernobyl und 2011 Fukushima erspart geblieben.

Auch wenn es 100 Millionen Dollar mehr gekostet hätte – die durch den Tsunami ausgelöste Reaktorkatastrophe in Japan hätte vermieden werden können. So viel etwa kosten Kathedralen 100 Meter unter der Erdoberfläche wie jene für Hochenergiephysik-Experimente der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf. Hätte man generell Kernkraftwerke in 100 oder mehr Metern Tiefe als Kavernen-Kraftwerke erbaut, wäre der Welt 1986 Tschernobyl und heute Fukushima erspart geblieben.

Warum geschah und geschieht dies nicht? Das Prinzip erscheint (zu?) trivial, ist auch nicht neu und hat sich bereits bewährt: Nur wenigen ist bekannt, dass in der Schweiz ein solches Kavernen-Kernkraftwerk existierte. 1969 passierte in Lucens an einem von der Schweizer Industrie entwickelten 30-MW-Reaktor nach nur zweimonatigem Betrieb der gefürchtete schlimmste Unfall – die Kernschmelze. Was geschah? Die Kaverne wurde einfach verschlossen, die Umgebung überwacht. Seit 1995 ist selbst diese Überwachung wegen Unbedenklichkeit eingestellt.

Aufwand zu hoch eingeschätzt

Warum baut man nicht Kavernen-Atomkraftwerke, vorzugsweise anstelle von sukzessive stillzulegenden älteren AKW? Gibt es technologische Hindernisse? Ich habe diese Frage auch mit dem Leiter des „Arbeitskreises Energie“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft diskutiert, der keine grundsätzlichen Gegenargumente vorbrachte. Auch führende Atomexperten österreichischer Universitäten sahen keine Hindernisse.

Anscheinend wurde in manchen Fällen der Aufwand für Kavernen zu hoch eingeschätzt, mit um 35Prozent höheren Baukosten und mehr. Wurden diese in anderen Fällen über- oder erst gar nicht geschätzt? Oder ist die Sicherheit der Gewinnoptimierung der Energiekonzerne zum Opfer gefallen? Die „Atlas“-Kaverne im CERN kostete ca. 105Mio. Schweizer Franken inklusive aller Baulichkeiten, Hebezeuge usw. Verglichen mit den Baukosten des finnischen EPR Okliluoto3 von (offiziell) 3,2Mrd.Euro dürfte die Unter-Tag-Legung eines Kernkraftwerks weniger als zehn Prozent Mehrkosten verursachen.

Kernenergie unverzichtbar

Dem stehen ungleich gewichtigere Vorteile gegenüber:
• Wesentlich erhöhte Akzeptanz durch die Bevölkerung: „Es kann kein neues Tschernobyl geben.“
• Unmittelbarer Ausschluss häufig genannter Risken: Flugzeugabsturz, Bombardierung, Terrorakte.
• Ausschluss von Emanation radioaktiver Materie im Fall eines schweren Betriebsunfalls wie der Kernschmelze.
• Wegen des geringen Impacts selbst eines GAUs kann man bei günstiger geologischer Konstellation näher an Industrie- oder Siedlungs-Ballungszentren gehen.
• „Automatische“ Entsorgung der „Low & Medium Activity Wastes“ der Anlage am Betriebsende – womit die entsprechenden Rücklagen entfallen: Reduzierung der Gesamtbetriebskosten. Bei entsprechender geologischer Konstellation kann sogar die Endlagerung der Brennelemente an Ort und Stelle unter Tag erfolgen.

Die Panik schürenden aktuellen Diskussionen übersehen oder unterschlagen, dass Kernenergie als klimaschützende (und derzeit noch kostengünstige) Technologie bis zur bedarfsdeckenden Verfügbarkeit von alternativen Energieformen unverzichtbar ist. Bei zu errichtenden oder zu ersetzenden AKW sind Mehrkosten von zehn Prozent – oder sollten es auch 20 sein – kein zu hoher Preis für Sicherheit und Lebensqualität der Bevölkerung. Das japanische Volk zahlt heute den Preis für die Profitgier seiner Energiekonzerne.

Horst O.Schönauer arbeitete als Physiker in der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) in Genf.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2011)

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