Nabucco – symbolisch überhöht

Bei einem Scheitern dieses Referenzprojekts der EU würde für Europas Versorgungssicherheit kein großer Schaden entstehen.

Pipeline-Politik ist im Wesentlichen Ankündigungspolitik. Nabucco ist dafür ein Paradebeispiel. Alljährlich wird die finale Investmententscheidung um zwölf Monate nach hinten verschoben, ebenso der geplante Baubeginn und der Zeitpunkt der Fertigstellung. Inzwischen spricht die OMV von 2018. Wären die ursprünglichen Pläne des bereits 2002 ins Leben gerufenen Projekts realisiert worden, würde heute bereits das Gas fließen.

Man sollte jedoch nicht den Fehler machen, dies als Versagen des Nabucco-Konsortiums oder der europäischen Energieaußenpolitik zu werten. Das Projekt ist vergleichsweise komplex, weil es auf mehrere Lieferländer und den schwierigen Transitpartner Türkei angewiesen ist. Zu kritisieren aber ist die Kommunikationspolitik: Nicht nur die stets zu optimistischen Zeitpläne, sondern vor allem auch die symbolische Überhöhung von Nabucco.

Die Pipeline gilt seit Jahren als Referenzprojekt einer europäischen Energieaußenpolitik, deren wichtigste Maxime es ist, die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Ein Scheitern von Nabucco wäre dementsprechend ein Triumph für den Kreml und eine herbe politische Niederlage für die EU. Für Europas Versorgungssicherheit aber würde paradoxerweise kein großer Schaden entstehen.

Übertriebene Angst vor Gazprom

Erstens ist die weitverbreitete Angst vor Gazprom stark übertrieben, da Russlands Anteil am EU-Gasverbrauch seit Langem bei etwa 25 Prozent stagniert. Wenn der europäische Gasbinnenmarkt weiter ausgebaut wird – mit innereuropäischen Leitungsverbindungen und gemeinsamen Krisenreaktionsmechanismen –, wird Russland einzelne EU-Mitgliedstaaten nicht mehr unter Druck setzen können.

Zweitens ist sehr unsicher, wie sich der Gasverbrauch in der EU entwickeln wird. Die Prognosen der europäischen Gasversorger haben sich zuletzt stets als überhöht erwiesen. In der EU hat es seit 2005 keinen Anstieg mehr gegeben. In Deutschland rechnen die Gasnetzbetreiber mit einem sinkenden Verbrauch, trotz des Atomausstiegs. Wenn die EU ihre klimapolitischen Ziele ernst nimmt, wird dies mittelfristig in allen Mitgliedstaaten der Fall sein.

Drittens lässt sich der künftige Importbedarf der EU nur schwer vorhersagen. Die Eigenproduktion aus konventionellen Gasfeldern geht in Europa zwar schon seit Langem zurück, aber der jüngste Boom beim Schiefergas wird auch in der EU Nachahmer finden, namentlich in Polen und Großbritannien. Dies wird, anders als in den USA, nicht dazu führen, dass neue Infrastrukturen für den Gasimport überflüssig werden. Aber je unsicherer die Marktentwicklung, desto schlechter für komplexe Projekte wie Nabucco, die sehr große Investitionssummen erfordern.

Wenn Aserbaidschan wirklich gewillt ist, eine signifikante Menge an Gas über den „südlichen Korridor“ direkt in die EU zu liefern, dann ist es für die Europäer letztlich unerheblich, über welche Pipeline das Gas transportiert wird. Sollte Baku im laufenden Bieterverfahren mit ITGI oder TAP einen der kleineren Nabucco-Konkurrenten bevorzugen, wäre dies zweifellos ein großer Rückschlag für die OMV. Aber für die Versorgungssicherheit Österreichs und der EU wäre es unerheblich.

Dr. Oliver Geden ist Experte für EU-Energiepolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2011)

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