Vom Fleck weg: Noll hat Recht

Im Umgang mit Holocaust-Leugnern geht es nicht um einen Meinungsaustausch, weil sie Argumenten prinzipiell unzugänglich sind.

Noll ist kein dummer Mensch, meint der Soziologe Fleck, aber . . . Nach den Punkten kommt nichts - wer also dann? Bleibt die Frage offen, oder ist sie nur deswegen nicht zu beantworten, weil sich genannter Noll bloß dumm stellt?

Zur Klarstellung: Alfred N. ist wirklich kein dummer Mensch. Seine Äußerungen zum Thema Holocaust-Leugnung zeigen tiefes Interesse an einem nicht bloß theoretischen Problem. Kritiker Fleck ist Soziologe und irrt bereits in seiner Einlassungsthese, wenn er meint, dass (Straf-)Juristen lediglich die Abschreckung und Bestrafung von Tätern vor Augen haben. Das ist schlicht falsch, weil Juristen zwar an der Gesetzwerdung beteiligt sind, aber die Gesetze nicht "machen". Juristen wenden die Gesetze an. Die Fleck'sche Behauptung, dass "Richter ihren eigenen Regeln folgen", ist blanker Unsinn. Für jedes Rechtsgebiet gibt es gesetzliche Normen und eine präzise Verfahrensordnung.

Das Strafrecht folgt rechtspolitischen Zielen. Die "Grenze zwischen (noch) erlaubt und (schon) verboten" stellt sich nicht als "Konsens unter den Rechtschaffenen" dar, sondern ist im Gesetz genau festgelegt. Die Resozialisierung eines überführten Straftäters ist ein auch von Fleck erkannter Zweck einer gerichtlichen Bestrafung; dass - laut Fleck - "während der Haft keine Wiederholung der Tat droht", ist ein im Zusammenhang mit dem Holocaust wohl unangebrachter Scherz. Kein Witz ist bei Fleck, dass sich Juristen für die Abschreckung von Tätern, aber "Soziologen sich für nicht-beabsichtigte Nebeneffekte interessieren". Den Holocaust und dessen Opfer mit Hendldiebstahl und Hühnern zu vergleichen, ist so weit hergeholt, dass der Vergleich selbst eines strafrechtlich nicht versierten Soziologen und bekennenden Nebeneffekt-Haschers unwürdig ist.

Die Fleck-These, dass ein Leugner der Nazi-Verbrechen "ein Narr und sonst nichts" sei, ist eine für eine wissenschaftliche Meinung unzulässige und für den Laien unverständliche Simplifizierung eines sehr ernsten Problems. Ein solcher Narr ist nur jener Leugner, der vom Holocaust noch nie gehört oder sich nie dafür interessiert hat und deswegen nichts davon weiß; das waren anfangs wenige und drohen leider immer mehr zu werden. Diejenigen aber, die, sei es trotz Kenntnis, also wider besseres Wissen, sei es ohne Studium der Quellen den Holocaust leugnen, sind eine politisch und auch soziologisch gefährliche Gruppe, weil sie bewusst oder grob fahrlässig von einer falschen Überzeugung ausgehen und zeitgeschichtlich absolut unbelehrbar sind.

"Einige durch und durch honorige Personen" (Originalton Fleck) hätten "es 1992 nötig gefunden, dem Verbotsgesetz einen Paragrafen hinzuzufügen, der die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt". Aber halt, diese honorigen Einzelgänger können doch nicht Gesetze ergänzen - oder doch? Doch: Sie konnten, denn es waren unsere Volksvertreter, die sich in diesem Kontext zum schönen Singular des "Gesetzgebers" sublimieren und damals eine derartige Ergänzung des Verbotsgesetzes für notwendig befanden. Der Grund war nicht nur ein pragmatisch-praktischer, um den Richtern Arbeit zu ersparen, sondern ein prinzipieller und rechtsdogmatischer: Die Grenze, welche durch Gesetzesklarheit, noch verfeinert durch Judikatur, zwischen straflosem und strafbarem Sachverhalt festgelegt wird, ist längst und fleck-frei zwischen den Ausführungsphasen eines Deliktes gezogen: Der Versuch ist (meistens) genauso strafbar und mit der gleichen Strafe bedroht wie die Vollendung des Deliktes (wenn es beim Versuch geblieben ist, liegt jedoch ein Milderungsgrund vor). Aber vor dem Versuch gibt es die grundsätzlich noch straflose Vorbereitungshandlung; grundsätzlich straflos heißt in der Alltagssprache "normalerweise"; in nicht normalen Fällen, wo nämlich von Anfang an erhöhte Gefahr besteht (wie z. B. beim Hochverrat), ist schon die Vorbereitungshandlung pönalisiert, und das ist wohl auch nach allgemeiner Volksmeinung gut so.

Holocaust ist nicht normal. Völkermord muss rechtzeitig unterbunden werden; rechtzeitig heißt: noch vor dem Versuch. Natürlich darf die Strafdrohung für Holocaust-Leugnung nicht exzessiv hoch sein, sonst könnte sie zu rechtlich unbegründeten Freisprüchen führen, obwohl der Satz "Im Zweifel für den Angeklagten" nur für die Tatfrage, aber nicht für die Rechtsfrage gilt.

Ernsthafte Historiker meinen, dass die Nationalsozialisten nie an die Macht gekommen wären, wenn die NSDAP dauernd verboten geblieben wäre. Von der Abschaffung der strafbaren Holocaust-Leugnung bis zur Abschaffung des ganzen Verbotsgesetzes ist es nur ein kleiner Schritt. Eine Diskussion über die Abschaffung oder Änderung eines Gesetzes ist, anders als Noll meint, immer verfassungskonform - das heißt aber nicht, dass hier die Abschaffung oder Änderung im Interesse der Demokratie liegt. Im Umgang mit Holocaust-Leugnern geht es nicht um einen demokratischen Meinungsaustausch, weil sie historischen Argumenten prinzipiell unzugänglich sind. Daher sollte das Verbotsgesetz nicht angetastet werden.

meinung@diepresse.comProf. Dr. Walter Strigl ist Rechtsanwalt und Vizepräsident der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte. Tätigkeitsgebiete u. a.: Verfassungsrecht, Grundrechtsschutz. Die bisherige Diskussion lesen Sie unter www.diepresse.com/verbotsgesetz

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