Infiziertes Bindegewebe zwischen den Regierenden und Regierten

Warum der Verdruss über die Demokratie derzeit so groß ist. Und wie die jungen Leute heute in die falsche Richtung gepolt werden.

GedankenLese
Blick in politische ZeitschriftenDie Leute fühlen es, sie sehen und hören es – und können ihre Gefühle und Ahnungen doch nicht immer exakt beschreiben, deshalb schreien sie lieber ihre Wut einfach hinaus: Es läuft derzeit viel schief in der Demokratie, der gewiss immer noch besten aller Regierungsformen. Die gegenwärtige Finanz- und Schuldenkrise scheint die Verdrossenheit über die Demokratie nur noch zu vergrößern, vor allem in der westlichen Staatenwelt. In der Ausgabe 11/2012 der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ geht der New Yorker Rechtswissenschaftler Stephen Holmes den Ursachen der globalen Unzufriedenheit mit der Demokratie nach, er hat sieben Quellen der Verdrossenheit entdeckt.

Holmes weist zum Beispiel auf die Tatsache hin, dass – nicht gewählte – riesige Bürokraten-Apparate wie die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank der Kontrolle der EU-Bürger entzogen, wichtige Entscheidungsinstitutionen damit schlicht ausgehöhlt sind. Überhaupt die Bürokraten: In den USA gibt es 20 Millionen davon, auch dort sind die allerwenigsten in ihre Ämter gewählt. Während Politiker wechseln, bleiben die Staatsdiener sitzen, können Politiken blockieren, untergraben oder schlicht „aussitzen“. Auch da sind die Kontroll- und Einflussmöglichkeiten der Bürger beschränkt – umso mehr wächst der Frust. Bürokratien aber, die sich Kontrollen jeglicher Art entziehen, verrotten und sie werden zu Infektionsherden für die Demokratie.

Der Verdruss nimmt genauso zu, wenn Politiker immer mehr Geschmack an der Machtausübung finden und „ein vom Rest der Gemeinschaft abgehobenes Interesse entwickeln, das den Zwecken von Gesellschaft und Staat widerspricht“ (John Locke). Holmes fügt hinzu: „Macht korrumpiert, weil ihr Besitz nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Motivationen gewählter Politiker beeinflusst.“ Beispiele gefällig? Man schaue sich hierzulande nur die Machtverhältnisse in manchen Bundesländern an.

Holmes nennt weitere Krankheitskeime, die das „Bindegewebe“ zwischen Regierenden und Regierten zersetzen und so die Demokratie schwächen; auch die Märkte sind so wie die Bürokratien nahezu unkontrollierbar. Weltweit bildeten sich zudem Blasen von – politisch sehr einflussreichen – Superreichen heraus, denen das Los ihrer Gesellschaften völlig egal ist. Diese reagieren lethargisch.

Heft 61 der einst von Leon Zelman gegründeten Zeitschrift „Das jüdische Echo“ widmet sich einem ähnlich heißen Thema wie der Demokratiekrise – nämlich der Lage der jungen Leute. In 39 Aufsätzen wird die Situation der Jugend beschrieben – einst, heute und morgen. Klar, dass es da herausragende und entbehrliche Beiträge gibt. Zu Letzteren gehört etwa Barbara Tóths – gefühlt – 3587ster Text über Karl Schwarzenberg.

Eines der Glanzstücke der Nummer ist „Die getriebenen Neo-Yuppies“ des Jugendforschers Bernhard Heinzelmaier: eine schonungslose Analyse der vornehmlich auf Egoismus, materiellen Konsum und Events gepolten heutigen jungen Generation und eine beinharte Abrechnung mit dem Bildungs- und Ausbildungssystem, das die Jungen in diese Richtung lenkt: Heinzelmaier nennt etwa die Fachhochschulen, in denen „anstelle von Menschenbildung Konkurrenz- und Ellenbogenmentalität eingeübt werden“.

Sehr zur Lektüre empfohlen seien auch Gerhard Roths Erinnerungen an die Bombennächte und den Wiederaufbau in Graz (1942–1962). In seinem Text beschreibt der Schriftsteller die Beengtheit dieser kleinbürgerlich geprägten, damals so muffigen Stadt auf beklemmende Weise.


E-Mails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2012)

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