Überleben auf Inseln der Wahrheit in einem Meer von Lügen

Zwei Magazine befassen sich mit der Macht der Lüge. Ob wir Inhalte der Propaganda annehmen, hängt von uns selbst ab.

Die Wahrheit hat es noch nie leicht gehabt. Seit es Menschen auf dieser Welt gibt, seither wird auch gelogen, getäuscht, irregeführt, auf falsche Fährten gelockt. Und doch scheint das Thema heute brennender denn je. Die Medien stehen schwer unter Beschuss. Vor allem den traditionellen Printmedien wird immer wieder der Vorwurf der „Lügenpresse“ entgegengeschrien. Auch hier ist die Anschuldigung, die Presse verbreite Lügen und sei das Werkzeug von Verschwörern, so alt wie die Zeitungen selbst.

„ZeitGeschichte“ widmet sein jüngstes Heft (3/2017) „Der Macht der Lüge. Propaganda, Fälschungen Verschwörungstheorien – vom Mittelalter bis heute“. Wie meistens bei diesem Produkt aus dem Hamburger Zeit Verlag erfolgt die Aufarbeitung des Themas auf hohem Niveau und mit ausgewiesenen Experten als Autoren. Chefredakteur Frank Werner schreibt: „Früher erklärte ein Sprichwort die erste Lüge zum Sündenfall: ,Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.‘ Heute, in der Ära des Internets, wirkt dieser Spruch wie ein letzter Gruß aus analogen Zeiten. In einem Meer von Lügen fragt niemand mehr nach dem ersten Tropfen. Die Schleusen sind weit geöffnet. Allenthalben wird das ,postfaktische Zeitalter‘ ausgerufen, in dem gefühlte Tatsachen den Ton angeben. Die altehrwürdige Wahrheit gleicht einem Wühltisch, auf dem jeder eine passende Version findet.“

Das Ringen zwischen Wahrheit und Lüge gab es zwar schon immer, doch ganz gewiss hat das Internet die Parameter der Suche, Prüfung, Aufbereitung und Verbreitung von Informationen verschoben. Jeder kann heute sein eigener Journalist sein und „seine“ Wahrheit ins weltweite Netz hinausposaunen: „Durch massenhafte und gezielte Verbreitung von Fake News, Verleumdungen oder Fälschungen kann auch der Einzelne auf einmal spürbaren Einfluss erlangen. Er kann ein Klima erzeugen, das die Politiker zu Reaktionen nötigt“, schreibt die Passauer Professorin für Ideengeschichte Barbara Zehnpfennig in ihrem Betrag „Nichts als die Unwahrheit“. Und: „Wahr ist dann, was die vielen Gleichgesinnten, die sich in den ,Echoräumen‘ der sozialen Netzwerke treffen und gegenseitig bestätigten, für wahr halten. Hier schlägt das demokratische Prinzip der Mehrheitsbildung um in kollektive Wahrheitsfeindschaft.“

Und wie kann man da dagegenhalten, wie kann man sich dagegen wehren, von einer Flut von gefälschten Nachrichten weggespült zu werden? In „Fluter“, dem Magazin der Bonner Zentrale für politische Bildung, das seine Ausgabe Nr.63 ebenfalls dem Generalthema Propaganda widmet, antwortet der Historiker Rainer Gries auf diese Frage: „Indem man sich klarmacht, wie das System funktioniert, sich also vor Augen hält, was wir bis hierhin gesagt haben, und daraus Schlüsse zieht, wie man mit den Angeboten, die täglich auf uns einprasseln, verantwortungsvoll umgeht. Wir können uns all diesen Botschaften nicht entziehen. Aber ob wir Inhalte der Propaganda annehmen oder nicht, hängt letztlich von uns selbst ab. Wir sind keine Objekte, sondern Subjekte.“

Wenn schon all dem Geschriebenen mit gesunder Skepsis begegnet werden muss, kann man wenigstens den Fotos trauen? Beide hier besprochenen Magazine befassen sich auch ausführlich mit Bildmanipulationen. „Fluter“ zitiert den Kriegsfotografen Eddie Adams: „Die Leute glauben den Fotografien, aber die lügen, auch wenn sie unretuschiert sind. Sie sind nur Halbwahrheiten.“

Emails an: burkhard.bischof@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2017)

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