Glaubensfrage

Hat die Kirche neuerdings ein Problem mit dem Kreuz?

Das Kreuz – eine Provokation: Bayern lässt landesweit in den Ämtern das bekannteste christliche Symbol aufhängen. Ja, und?

Bischöfe, so eine katholische Weisheit, werden erst mutig, wenn sie das päpstliche Dekret in Händen halten, mit dem ihr Rücktritt angenommen wird. Weshalb der Grundsatz selbst unter der aktuellen Nummer eins der Hierarchie gilt, gehört zu den großen Mysterien der Christenheit. Immerhin provoziert Franziskus geradezu seine Mitbrüder im Bischofsamt durch Taten und Worte zu Courage.

Papst-Botschafter Peter Stephan Zurbriggen ist noch nicht emeritiert. Er hat in drei Monaten die Grenze von 75 Jahren erreicht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der öffentlichkeitsscheue Erzbischof nun Mut fasst. Er hat sich (Zufall oder Fügung) in Heiligenkreuz dezidiert zur Debatte über das Kreuz geäußert. In Österreich existiert diese so nicht. Sie wird in interessierten Kreisen geführt, nur nicht öffentlich. Man will sich nicht den Mund verbrennen und die selige Stille stören. In Deutschland sorgt die Entscheidung eines Landes für bundesweite Debatten. Bayern führt die Pflicht zum Aufhängen des Kreuzes in Behörden ein. Und?

In der bayrischen Bevölkerung stößt dies auf Zustimmung. Der Applaus der Kirchen ist enden wollend. Mehr noch, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Münchens Kardinal Reinhard Marx höchstselbst, hat sich aufgeschwungen, Ministerpräsidenten Markus Söder zu kritisieren. Interessant. Ausgerechnet jener Marx, der vor ein paar Jahren auf dem Jerusalemer Tempelberg das Brustkreuz abgelegt und für Häme bis Kopfschütteln gesorgt hat. Hat die katholische Kirche neuerdings ein Problem mit dem Kreuz? Soll es nur in geschützten Räumen der Gotteshäuser und Pfarrkanzleien (was für ein schreckliches Wort!) hängen?

Hängen dürfen, um niemanden zu provozieren. Noch deutlicher: Um Muslime nicht vor den Kopf zu stoßen. Diese haben aber, sofern auch nur einigermaßen aufgeklärt und gebildet, mit einer monotheistischen Religion wie dem Christentum grundsätzlich weniger Probleme als oft unterstellt. Mit dem Kreuz können Muslime womöglich eher leben als mit und in einem Staat, der Religion aus der Öffentlichkeit verbannt. Nuntius Zurbriggens Unmut, der in der kirchlichen Kritik am Kreuz eine „Schande“ sieht, ist nachvollziehbar. Niemand wird ernsthaft bezweifeln können, dass das Kreuz politisch missbraucht wurde und dann und wann noch wird. Aber einer Landesregierung genau das reflexartig zu unterstellen ist bemerkenswert.

Gar nicht in Betracht zu ziehen, dass das Kreuz von einem Politiker als Bekenntnis zum christlichen Menschen- und Weltbild verstanden wird (das eben nicht ausgrenzt!), zeugt von origineller Interpretation des Rollenbilds eines Bischofs. Wir wollen ja nicht annehmen, dass die persönlichen Probleme, die die machtbewussten Männer Marx und Söder miteinander haben, wahrer Grund für die Kritik sind. Wobei das die harmlosere Variante wäre.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse am Sonntag", Print-Ausgabe, 6. Mai 2018)

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