Die regierenden Tories haben sich von der Realität abgekoppelt.
Theresa May ist den Geistern, die sie rief, zum Opfer gefallen. „Besser kein Brexit-Deal als ein schlechter Brexit-Deal!“ lautete der Schlachtruf, auf den die baldige Ex-Premierministerin die Konservativen eingeschworen hatte. Der autosuggestive Slogan, der anfangs als taktische Drohung an die EU gedacht war, schwoll im Lauf der Austrittsverhandlungen zum Sirenengesang an, dem sich die Tories nicht mehr entziehen können.
May, die es sich in der Zwischenzeit anders überlegt hatte, konnte nicht mehr zurück. Denn wozu langweilige Kompromisse eingehen, wenn Großbritannien doch alle Fesseln sprengen und den perfiden Europäern eins auswischen kann? Der von ihr verhandelte Austrittsvertrag hat den evidenten Nachteil, in der Realität verankert zu sein. Und dass Realität nicht mehr das Kerngeschäft der britischen Konservativen ist, beweist nichts besser als die Tatsache, dass Brexit-Märchenonkel Boris Johnson der Favorit für Mays Nachfolge ist.
Die für ihren Pragmatismus bekannten Tories sind zu Winkeladvokaten des Was-wäre-wenn degeneriert. Was Johnson brillant beherrscht, ist, rhetorische Purzelbäume zu schlagen. Doch wer auch immer May beerbt, wird nicht an seinen Worten gemessen werden. Sondern an den Taten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2019)