Das Ritual der Vorgestrigen

Zwischen „Helden“ und Opfern: der 8. Mai – eine alljährliche Provokation.

Alle Jahre wieder. Auf der einen Seite die Burschenschafter, die euphemistisch der gefallenen Soldaten beider Weltkriege gedenken. Auf der anderen eine breite, inhomogene Protestbewegung, die von honorigen Vertretern der Israelitischen Kultusgemeinde über solche der Wiener Stadtregierung bis hin zu aggressiven linken Chaoten reicht. Und mittendrin die Polizei.

Eine schlüssige Erklärung, warum die Burschenschafter just am Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands der gefallenen Soldaten gedenken müssen – und man das Ganze auch noch „Heldengedenken“ nennt –, ist seit Jahren ausständig. Beziehungsweise: Sie liegt ohnehin auf der Hand.

Wenn Mitglieder von Studentenverbindungen schon glauben, an diesem Tag auf sich aufmerksam machen zu müssen, dann könnten sie es in etwa so tun wie der Cartellverband. Dieser gedenkt im Stephansdom der Opfer des Zweiten Weltkriegs.

Wobei auch die deutschen Soldaten gewissermaßen Opfer des Nationalsozialismus waren. Aber eben nicht alle.

Der 8.Mai ist der Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Und sollte auch als solcher begangen werden. Auch die immer wieder relativierend angeführten – und keinesfalls zu beschönigenden – Übergriffe der Roten Armee in der Folge ändern daran nichts. Diesem Common Sense könnte sich im Jahre 2012 endlich auch einmal das freiheitliche Lager anschließen.

oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2012)

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