Was funktioniert, wenn nichts mehr funktioniert

Erste Bilanz des „Jahrhunderthochwassers“ 2013 nach dem „Jahrhunderthochwasser“ 2002: Die Hilfe funktioniert. Der Rest noch nicht ganz.

Es ist im Grunde ja ein sehr labiles, rein naturwissenschaftlich betrachtet, extrem zufälliges Gleichgewicht, das Zusammenspiel einer Legion von Elementen, das die Bedingungen zum Leben, wie wir es kennen, auf dem Planeten ermöglicht, den wir Erde nennen. Immer wieder scheint dieses Gleichgewicht mehr oder weniger bedenklich ins Wanken zu geraten. An diesem oder jenem Ort. Tatsächlich haben große Eiszeiten, Dürreperioden, Vulkanausbrüche ganze Arten verschwinden lassen und Lebensbedingungen nachhaltig verändert.

Im Hier und Jetzt, dem wir verhaftet sind, strapazieren wir das Wort Naturkatastrophe, wenn wir ein Ereignis nicht so recht fassen, nicht so recht einordnen können. Das widerspricht gründlich unserer Art zu denken und unserer schier nicht zu stillenden Sehnsucht, alles in (eine) Ordnung zu bringen. Und erklären zu können. Dann müssen Klimawandel, versiegelte Böden, fehlende oder zu viele Dämme als Erklärung für ein Hochwasser herhalten.

Für Betroffene sind derartige Ereignisse, wie die große Flut, die derzeit Teile Mitteleuropas überzogen hat, tatsächlich eine Katastrophe. Was hilft ihnen die Erkenntnis, dass an dieser oder jener Stelle nie hätte gebaut werden dürfen? Oder dass es an dieser oder jener Stelle seit Menschengedenken nie eine Überschwemmung gegeben hat?

Versicherungen mit ihren unbestechlichen Mathematikern und Statistikern im Schlepptau ist eine möglicherweise beunruhigend nüchterne Sicht der Dinge zu eigen. 12 (in Worten: zwölf) Prozent aller Häuser in Österreich sind nach deren kruder Definition in Risikozonen errichtet. Heißt im Umkehrschluss: 88 Prozent wären demnach sicher. Nicht ganz. Der Rest Österreichs lebt in Restrisikozonen, wie es Institute ausdrücken. Versichern beruhigt.

So wenig in den von Überschwemmungen, Hangrutschungen und Vermurungen schwer gezeichneten Gebieten sonst Alltägliches funktionieren mag, so sehr gibt es etwas, was wirklich funktioniert: Es ist die Arbeit der professionellen und der unbezahlten, aber dennoch professionellen tausenden Helfer von Freiwilliger Feuerwehr, Rotem Kreuz und anderen Verbänden. Was gut funktioniert, sollte besser nicht versucht werden, besser zu machen.

Ja, es könnte verschiedentlich modernere Ausrüstung geben (übrigens, nicht wirklich überraschend, auch beim Bundesheer, das auch diesmal wieder zur Katastrophenhilfe ausgerückt ist). Ja, es wäre aus Sicht der Betroffenen wünschenswert, einen Rechtsanspruch auf Dienstfreistellung zumindest in kleinem Ausmaß für Noteinsätze Freiwilliger zu haben. Nicht wenige Arbeitgeber geben Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr ohne viel Aufsehen frei, ohne den Urlaub der Dienstnehmer anzutasten. Aber insgesamt wurden Kommunikations- und Alarmierungswege verkürzt. Zumindest, was die Einsatz- und Hilfskräfte betrifft, sind die richtigen Lehren aus dem Jahrhunderthochwasser 2002 für das derzeitige Jahrhunderthochwasser gezogen worden.

Ob die Lehren auch in Bezug auf die Beachtung der Gefahrenzonen bei der Genehmigung zum Bauen gezogen wurden, muss offen bleiben. Da ist wieder einmal Mut der Politik zu Unbequemem gefordert. Da werden möglicherweise sogar weitere Absiedlungen nicht auszuschließen sein. Vor der Nationalratswahl wird sich da – so groß kann der Leidensdruck eines Jahrhunderthochwassers gar nicht sein – nichts bewegen. Aber es gibt ja auch ein Leben nach der Wahl. Danach darf der Punkt nicht von der Agenda verschwinden, auch wenn das öffentliche Interesse längst geschwunden ist.

Wir leben im und mit dem Risiko. Wir alle, ob wir uns dessen nun bewusst sind oder nicht. Wir sollten daher auch weiterhin das Risiko nicht scheuen zu helfen. Entweder selbst Hand anzulegen, bei Feuerwehr, Rotem Kreuz, Caritas... – an einschlägigen Angeboten mangelt es wahrlich nicht. Oder zumindest Geld (ver)teilen. Genau dieses Handeln macht eine Solidargemeinschaft aus. Nicht nur, weil das nächste oder übernächste Mal wir selbst auf die Hilfe anderer angewiesen sein könnten. Sondern, weil ein derartiges Verhalten zuinnerst menschlich ist.

E-Mails an: dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2013)

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