Auf dem falschen Fuß erwischt

Die SPÖ ist vom Koalitionsbruch überrumpelt und desperat. Doch für den Sieg fehlen der ÖVP noch Themen.

Es gilt in der Politik eine eiserne Regel, und die lautet: Behellige die Menschen, die sich im Hochsommer gemütlich an Badeseen räkeln, keinesfalls mit aggressiven politischen Botschaften. Daher wird der richtige Wahlkampf erst Ende August beginnen – und er wird sich vom letzten deutlich unterscheiden.

Die ÖVP wird bzw. muss weniger schläfrig agieren. Wiegt sie sich wie das letzte Mal in der Sicherheit günstiger Umfragen, dann schaut am Ende wieder nur Platz zwei heraus. Die SPÖ wird bzw. muss diesmal staatstragender sein. Denn die Kaskade roter Versprechen (plus die Demobilisierung schwarzer Wähler) führte zwar zum Sieg, entpuppte sich aber gleichzeitig als Keim des Unfriedens in der Regierung und in der SPÖ, die an Selbstinfektion mit dem eigenen Schmäh litt. Dass sie aber, wie sie glauben macht, bereits acht Prozentpunkte hinter der ÖVP liegt, ist natürlich Unsinn. Da kalkuliert die Löwelstraße nur mit dem Kadergehorsam der Genossen, die immer dann „rannten“, wenn es der Partei besonders schlecht ging. Sowohl die Konsum-Pleite als auch das Bawag-Desaster mündeten in rote Siege.

Molterer hat mit seiner „Es reicht“-Ansage das Gesetz des Handelns zwar an sich gerissen. Aber dieser Effekt wird nicht bis zum 28. September anhalten. Die Volkspartei ist auch keineswegs so geschlossen, wie es der Vizekanzler gerne hätte. So grummeln die Landeshauptleute von Nieder- und Oberösterreich wegen der Personal(nicht)entscheidungen. Die Funktionäre akzeptieren Molterer zwar an der Spitze, haben aber Zweifel, ob er das Zeug zur ganz großen Wählermobilisierung hat. Und wo sind die populären ÖVP-Themen?


Doch eines der größten innenpolitischen Mysterien ist die gegenwärtige Desorientierung in den roten Reihen. Der EU-Leserbrief an die „Kronen Zeitung“ war eine bewusste Provokation. Die SPÖ wusste, dass man die Vizekanzlerpartei damit ins Mark treffen würde. Aber offenbar rechnete die SPÖ mit Zähneknirschen bei den Schwarzen, aber nicht mit dem Schlusspfiff durch Wilhelm Molterer.

Sie glaubte, die ÖVP würde durchhalten, weil das Thema – Nein zur Volksabstimmung – wohl kaum zum Wahlkampfschlager taugt. Ebenso wenig wie die Pensionsautomatik (gesetzliche Maßnahmen, wenn die Lebenserwartung über eine bestimmte Grenze steigt, voraussichtlich in der nächsten Legislaturperiode fällig). Das Kalkül der Sozialdemokraten: Die ÖVP wagt es (noch) nicht, die Koalition aufzukündigen. Im Herbst hätte man dann gern das Finale eingeläutet und den schwarzen Finanzminister mit unrealistischen Wünschen vor sich hergetrieben. Die ÖVP wäre mit der Punze „Neinsager-Partei“ versehen worden.

Schwachpunkt dieser roten Strategie war, dass sich Alfred Gusenbauer nicht aus dem Kanzleramt verjagen ließ. Hätte Werner Faymann – wie von den Umstürzlern geplant – seinen Sessel erklommen, hätte der sich bis zum Wahltag besser etablieren können. Auch das Echo auf den Brief an Hans Dichand war aus Sicht der SPÖ unerwartet negativ. Sogar den „eigenen“ Bundespräsidenten hat man damit ordentlich verärgert. Heinz Fischer gab am Sonntag unverhohlen zu, dass ihn der Zustand der SPÖ schmerzt. Kaputte Großparteien sind ein demokratiepolitisches Problem, da hat er Recht.

Aber da gibt's noch ein weiteres Problem: den jämmerlichen Zustand der Opposition. Das ist Wasser auf den Mühlen der Befürworter einer Wahlreform. Die „Daham-statt-Islam“-Blauen werden – gleichgültig wie ihr Wahlkampf aussieht – kräftig gewinnen, sie sind aber bestenfalls als Mehrheitsbeschaffer einer Minderheitsregierung denkbar. Einen ernsthaften Koalitionspartner geben sie weder inhaltlich noch personell ab, das hat Schwarz-Blau eindrucksvoll gezeigt. Einziger schlüssiger Grund, sie in eine Regierung zu nehmen, wäre die neuerliche Einleitung ihres Schrumpfungsprozesses.

Die Schwarzen machen den Grünen schöne Augen, auch wenn Rot und Grün die eigentlichen „Verwandten“ sind. Aber das Potenzial der Grünen ist ausgereizt. Das letzte Mal kamen sie auf elf Prozent. Viel mehr ist nicht drinnen – für eine Koalitionsbildung zu wenig. Von den Randgruppen – von BZÖ bis Dinkhauser – ganz zu schweigen.

Nun spielt Molterer mit dem Gedanken einer „Dreierkoalition“ – schwierig im harmoniebedürftigen Österreich. Aber dieser Sehnsucht hat die Große Koalition auch nicht entsprochen. Für die Parteistrategen ist die Situation vertrackt: Das Wahlvolk will mit Auseinandersetzungen nicht behelligt werden – ganz sicher auch dann noch, wenn die Seen nicht mehr zum Baden locken.

Neuwahlen Seiten 1 und 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.