Akuter Reformbedarf? Diagnose: Hoffnungslos

Es wird wieder an einer Gesundheitsreform gebastelt. Viel ist nicht zu erwarten, obwohl: Ideen gäbe es zuhauf.

Manchmal schadet er nicht, der kontrollierende Blick auf den Kalender: Es ist Ende Mai 2009, tatsächlich. Hört man Ärztekämmerern und Sozialversicherern zu, wähnt man sich freilich wieder im Frühjahr 2008, in dem die Ärzte mit Streik und zuletzt einige wenige Krankenkassenfunktionäre den letzten Versuch einer Gesundheitsreform erfolgreich torpediert haben. Damals glaubte man schon, ins Jahr davor zurückversetzt zu sein. Davor war man gedanklich im Jahr davor, et cetera, et cetera. Zeitschleifenphänomene sind eben nichts Neues, wenn die beharrenden Elemente im Gesundheitssystem so richtig zu Werk gehen.

Seit Jahren empfinden es die Ärzte als gemeinen Angriff auf ihren ehrenwerten Berufsstand, wenn über Sparmaßnahmen auch nur nachgedacht wird. Seit Jahren können sich die Krankenkassen großartige Änderungen an ihren Strukturen nicht vorstellen, auch wenn sie noch so sinnvoll wären. Seit Jahren ziert sich die Pharmabranche, wenn es ums nachhaltige Einbremsen der rapide steigenden Medikamentenkosten geht. Und seit Jahren sind die Länder absolut nicht willens, die teuren Schnittstellen zwischen stationärer und niedergelassener Versorgung abzubauen oder gar die Spitäler aus ihrem Einflussbereich zu entlassen.

Es ist tatsächlich wieder einmal hoffnungslos. Und das, obwohl der Reformdruck immer größer wird. Die Krankenkassen geben permanent mehr aus, als sie einnehmen. Auch heuer wird das nicht anders sein: Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger geht von minus 100 Millionen Euro aus, trotz Reduktion der Mehrwertsteuer auf Medikamente von 20 auf zehn Prozent. Klar ist das in Vergleich mit satten 13,8 Milliarden Euro zu setzen, die jährlich von den Kassen umgesetzt werden. Was sich im Lauf der Jahre aber an Schulden angesammelt hat, ist wirklich happig: 1,2 Milliarden schlagen da zu Buche.

Besonders ärgerlich ist, dass unser Gesundheitssystem vom Prinzip her nicht schlecht ist. Es gibt Länder wie die USA, die geben weit mehr aus als wir und leisten für die Masse der Bevölkerung trotzdem viel weniger. Es gibt Länder wie Großbritannien, die nach Jahren der massiven Sparprogramme einen teuren Aufholprozess starten mussten. Sie ließen dabei aber auch durchaus innovative Ideen zum Zug kommen.

Und genau das fehlt uns. Im Großen und Ganzen werken die Gesundheitsanbieter wie eh und je vor sich hin. Dabei gäbe es viele gute Ideen – allerdings nur im Kleinen. Möglich wurden sie durch ein noch unter Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat umgesetztes und damals belächeltes Projekt. Amüsant ist im Übrigen auch, dass es jetzt gar nicht wenige gibt, die die damals heftig gescholtene Ministerin im Nachhinein nicht so übel finden, wenn sie den Vergleich zu ihren Nachfolgern anstellen. Ihre – und es war auch die bisher letzte Gesundheitsreform – schuf 2005 jedenfalls einen Reformpool. Er fördert alles, was zur Vermeidung von Doppelgleisigkeiten beiträgt, was unnötige Spitalsaufenthalte reduziert oder was teure und leidvolle Folgekosten von chronischen Krankheiten minimiert. Schönheitsfehler dabei: Fällt die ohnehin nicht üppige finanzielle Unterstützung weg, fallen ebenso rasch die Mitstreiter ab.

Das passt ins Bild. Maßgebliche Veränderungen haben in unserem Gesundheitssystem keine Überlebenschancen. Und der Gesundheitsminister hat nicht das Pouvoir, das zu ändern – egal, ob hysterisch polternd wie Andrea Kdolsky oder verschreckt zurückhaltend wie Alois Stöger. Hätte eine Regierung daher tatsächlich einmal das Herz, eine echte Reform anzugehen, müsste sie diese schon zur Chefsache erklären. Ohne Finanzminister und ohne Bundeskanzler ist da wohl nichts zu machen.

Die Erfahrung zeigt nur leider: auch mit ihnen nicht. Zu abhängig sind die jeweiligen Regierungschefs von ihren Landesfürsten. Zu starr sind die Interessenvertretungen, angefangen bei den Ärzten bis hin zur Gewerkschaft und zur Wirtschaftskammer, die nie und nimmer auf Einfluss in „ihren“ Sozialversicherungen verzichten wollen. Wer traut sich unter diesen Voraussetzungen schon, den einzig sinnvollen Weg zu gehen: die Finanzierung aller Gesundheitsleistungen aus einer Hand, die aber weder dem Land noch der Sozialversicherung gehört. Auf diese Forderung kommt dann oft als Argument, man brauche doch keine unnütze dritte Struktur, wo man doch zwei ganz gut funktionierende habe. Haben wir das? Tatsächlich?

Reformpool-Projekte Seite 3

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.05.2009)

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