Niemand weiß so recht, was Putin oder Erdogan wirklich können

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FILES-YEARENDER-2016-TURKEY-RUSSIA-POLITICS-ECONOMY(c) APA/AFP/OZAN KOSE
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Ob Autokraten gute Staatsmänner sind, könnte der Wettbewerb weisen. Da er fehlt, wird die Wirtschaft zum Kriterium. Und das ist gnadenlos.

Angesichts der Konsequenz, mit der Wladimir Putin den Westen in letzter Zeit geopolitisch vorführt, mag die Frage, wie sehr er sich als Staatsmann eignet und ob er wirklich die beste Wahl für sein Land ist, für Russen vermessen erscheinen. Und dennoch bleibt sie unbeantwortet. Denn de facto hat er sich in 16 Jahren nie einem fairen Wettbewerb bei Wahlen gestellt. Mehr noch, kein einziges Mal hat er sich auf eine TV-Konfrontation mit einem Gegenkandidaten eingelassen.

Gut möglich, dass Putin eine solche gewinnen würde, denn er spricht perfekt in der Sprache des Volkes, ist ein ausgekochter Profi, der immer im Staatsdienst war, und weiß viele wichtige Zahlen und Daten auswendig. Gut möglich aber auch, dass er eine direkte Konfrontation verliert – was sich heute im Establishment übrigens niemand laut zu sagen traute. Aber allein das Narrativ, dass es niemanden gebe, der ihm ebenbürtig und zur Führung des Landes geeignet wäre, ist ein Konstrukt der geheimdienstgeschulten Spindoktoren und daher ein Mythos sowjetischer Bauart.

Der fehlende Wettbewerb zeitigt jedenfalls zwei gravierende Folgen, die miteinander direkt korrelieren: Zum einen bleibt das Bild von Putin durchgestylt und makellos. Zum anderen werden seine potenziellen Gegner im Inland als Staatsfeinde diskreditiert und – auch das ist folgenschwer – im Westen als fraglos bessere Alternativen gehandelt. Beides dient der Wahrheitsfindung nur sehr eingeschränkt.

Die Frage nach Putins Qualitäten drängt sich derzeit deshalb auf, weil in der Vorwoche in einem wiederaufgewärmten Prozess Alexej Nawalny zu einer Haftstrafe von fünf Jahren auf Bewährung verurteilt worden ist. Seit Jahren ist der heute 40-jährige Jurist der Einzige, der im Kreml gefürchtet wird, nachdem er als bisher einziger Politiker seit Putins Machtantritt die Unzufriedenen Ende 2011 zu Massendemonstrationen mobilisieren konnte. Am Ende sah sich der Kreml sogar gezwungen, ihn zu den Bürgermeisterwahlen 2013 in Moskau zuzulassen, wo er auf Anhieb 27 Prozent der Stimmen erreichte. Bis heute wisse man nicht recht, wie mit ihm umgehen, erzählt eine Quelle aus dem Kreml. Umso weniger jetzt, da Alexej Nawalny kundgetan hat, bei den Präsidentenwahlen 2018 gegen Putin anzutreten. Was Nawalny zu bieten hätte? Nun, außer seinem Charisma und seinem notorischen Furor nicht das, was Experten gleich überzeugen würde. So enthalte sein Programm zwar das Beste aus 25 Jahren Präsidentenwahlen, aber Nawalny bleibe vor allem die Antwort schuldig, wie er ein Land ändern wolle, das sich nicht ändern will, meint Andrej Movtschan, Ex-Investmentbanker und nun Chef-Ökonom im Moskauer Carnegie-Institut.

In einem hat Movtschan Unrecht: Es geht heute weniger um ein fertiges Alternativkonzept als vielmehr darum, einen fairen Wettbewerb zurückzuerobern.

Bis dieser wieder gegeben ist, muss Putin sich an dem messen lassen, was messbar ist. Und das ist neben dem Landgewinn auf der Krim und dem Einflusszuwachs im Nahen Osten einfach die Wirtschaft. Hier sieht es nicht rosig aus. Die zweijährige Rezession ist zwar vorbei, aber bei dem nun stagnationsähnlichen Wachstum würde man erst 2019/2020 wieder das Niveau von 2014 erzielen, so das Wirtschaftsministerium. Nach den Daten des Internationalen Währungsfonds habe im Jahrzehnt seit 2007 die globale Wirtschaft um 38 Prozent zugelegt, währenddessen sei die russische nur um 16 Prozent gewachsen, rechnet die Wirtschaftszeitung „Wedomosti“ vor. Anders in den Nullerjahren: Da sei Russlands Ökonomie eineinhalb Mal so schnell gewachsen wie die globale. Doch die vergangenen paar Jahre der Reformresistenz hätten auch diese Erfolge ausradiert, sodass der Rückstand nicht geschrumpft sei.

Nicht alles ist Putins Schuld. Aber als Geisel seines eigenen Systems will und kann er keine der nötigen Großreformen starten, ohne seine Macht zu gefährden.

Alles kann man eben nicht haben. Putin hat die Prosperität Russlands dem eigenen Machterhalt und geopolitischen Machtgewinn geopfert. Andere Autokraten machen es ähnlich. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan etwa. Die Wirtschaft aber bleibt ihr Lackmustest. Und ihrer aller Schwachstelle.

E-Mails an:eduard.steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2017)

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