Leitartikel

Das Popfest Wien fördert nicht die Musik, sondern die Abstumpfung

(c) APA/GEORG HOCHMUTH
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Das Konzept der „niederschwelligen Kultur“ ist längst gescheitert: Aus gratis Berieselten werden keine bewussten Konsumenten.

Während in Salzburg die Festspiele mit der Ouverture spirituelle anlaufen, bereitet sich Wien zum achten Mal auf sein Popfest am Karlsplatz vor, das am Donnerstag beginnt: 60 heimische Bands an acht Spielstätten an vier Tagen, alles bei freiem Eintritt, in angenehmer Umgebung – ist das nicht großartig?

Nein, ist es nicht. Denn es suggeriert den Besuchermassen, seien sie Wiener, seien sie Touristen: Popmusik aus Österreich – und auf diese beschränkt sich die Auswahl ja programmatisch – ist nichts wert, sie wird dutzendweise verschenkt, als lauer akustischer Hintergrund für einen lauen Abend am Teich, bei dem man sich trifft, isst, trinkt, flaniert, plaudert, mitwippt und, wenn der Gesprächsstoff gerade versiegt, vielleicht ein bisserl zuhört. Konzentration auf das Gebotene ist in dieser Atmosphäre fast unmöglich; die Popkritiker der „Presse“ haben es deshalb aufgegeben, eine ernsthafte Rezension des Popfests zu versuchen.

„Niederschwellig“ nennt man diese Art von achtel- bis halbherzigem Kulturkonsum heute gern. Auch bei den Wiener Festwochen setzte man heuer auf die Idee, man könne so neue Publikumsschichten für die Kultur gewinnen. Das war einer der Gründe für den Misserfolg der Festwochen. Es funktionierte nicht. Der „Ausnahmezustand“, in den der neue Intendant, Tomas Zierhofer-Kin, großmundig die Stadt zu versetzen versprach, beschränkte sich auf genderdekonstruktivistische und postkolonialistische Sektierer, die ihre „Diskurse“ plötzlich reich subventioniert fanden.

Hinter dem Konzept der niederschwelligen Kultur steckt im Grunde eine verächtliche Einstellung gegenüber den „breiten Massen“: Man müsse sie zur Kultur locken, indem man diese in einer Jahrmarkts-, Kirtags- oder Clubbingszenerie versteckt. Wenn sie dann, ohne es zu wollen, zum Publikum geworden sind, klärt man sie gönnerhaft auf: Meine Lieben, ihr habt jetzt Kultur erlebt! Und, war doch gar nicht so schlimm, oder?

Warum das nicht funktionieren kann, ist klar: Wir alle sind ohnehin von niederschwelliger Kultur immer und überall umgeben, in jedem Supermarkt dudelt sie, aus jedem Schaufenster blinkt sie uns entgegen, aus jedem Handy klingelt sie; die ebenso allgegenwärtige Werbung ist mit ihr längst eine Allianz eingegangen. Nein, an hintergrundtauglicher Kultur herrscht kein Mangel, ganz im Gegenteil, ihr Überangebot ödet uns an, ihr Überfluss stumpft uns ab.

Genau gegen diese Abstumpfung, gegen diesen Überfluss muss Kultur, die uns berühren will, sich abgrenzen, dagegen darf, soll sie Schwellen errichten. Mit Eintrittsgeld, mit Türstehern, mit Verhaltensregeln, ja: mit Dresscodes. Das kann das Binden der Krawatte für die Oper sein oder die Auswahl des passenden Totenkopf-T-Shirts fürs Heavy-Metal-Konzert: Zu einem Kulturerlebnis gehört Vorbereitung, Einstimmung – wie zum Fest, das ja die Urform der Kulturaufführung ist, säkular oder spirituell, apollinisch oder dionysisch.

Niederschwellig ist es nicht. Darum ist es auch so aufregend. Darum sind die Karten für die Salzburger Festspiele so begehrt, während das Popfest Wien gar keine auflegt.

Aber hilft das Popfest Wien nicht wenigstens, die heimische Popmusik bekannt zu machen? Kaum. Es hat auch nicht, wie vielfach behauptet, die höchst erfreuliche derzeitige Blüte des österreichischen Pop gefördert oder gar hervorgebracht. Weder Wanda noch Bilderbuch sind je dort aufgetreten, sie haben gewusst, warum nicht. Der Gratisauftrieb am Karlsplatz nützt der heimischen Szene nicht, sondern schadet ihr eher. Auch ganz materiell: Eine Band, die beim Popfest in großem Rahmen gratis aufgetreten ist, tut sich schwer, bald darauf an anderen Orten Eintrittsgeld zu verlangen. Den einschlägigen Lokalen geht es ähnlich. Aus gratis Berieselten werden keine – zahlenden – bewussten Konsumenten. Und das Donauinselfestival gibt es sowieso . . .

Kurz: Die Popbranche von öffentlicher Seite mit Gratiskonzerten zu fördern ist ungefähr so sinnvoll wie der Versuch, das Brauereigewerbe mit dem Ausschank von Freibier zu unterstützen. Hoffentlich bringt dieser Vergleich die Stadt Wien nicht auf eine Idee.

E-Mails an:thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2017)

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