Leitartikel

Das Drama der Roten – und Wiens gar nicht kleiner Beitrag

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die heftige Kritik des Rechnungshofes am Krankenhaus Wien Nord fügt sich in die Reihe der Negativschlagzeilen, die Wien im Wahlkampf lieferte.

Gibt es kurze Momente, in denen die Wiener SPÖ wegen der alles beherrschenden Dirty-Campaigning-Affäre ein paradoxes Gefühl der Dankbarkeit empfindet? Vielleicht. Denn dann blickt keiner Richtung Rathaus, das zum Dauer-Wahlkampfschauplatz geworden ist. Vom Islamkindergarten über Moscheen-Studie bis zur Mindestsicherung – viele seiner Themen hat Sebastian Kurz anhand der Bundeshauptstadt durchdekliniert.

Und nun ist schon wieder etwas passiert. Auch wenn sich die Wiener SPÖ bemüht, dass bis zur Wahl nichts aus dem Rechnungshof(roh)bericht zum Krankenhaus Wien Nord durchsickert, werden peu à peu unschöne Details bekannt. So wird, wie am Montag berichtet, das Projekt wieder teurer. Das kommt nicht überraschend, doch die Höhe lässt kurz durchatmen. 1,5 Milliarden Euro. (Zu Erinnerung: Ursprünglich – vor all den Verzögerungen, Pleiten, Berechnungsfehlern und Prozessen – waren es 825 Mio. Euro). Am Dienstag die nächste Hiobsbotschaft. Laut Rechnungshof fehlt für die technische Inbetriebnahme das qualifizierte Personal.

Und, nein, das wird eher nicht die letzte schlechte Nachricht gewesen sein.

Der Misserfolg des Prestigeprojekts KH Nord hat viele Väter und Mütter und eine lange Geschichte. Es ist nachträglich fast absurd, wie man auf die Idee kommen konnte, der Krankenanstaltenverbund (KAV) könnte als Bauherr ein so anspruchsvolles Projekt wie die Errichtung eines Megaspitals bewältigen. Wo doch der KAV – nachzulesen im Rechnungsbericht vom Frühjahr – nicht einmal seine existierenden Spitäler ordentlich verwalten kann. Weil die Politik hineinregiert, weil Entscheidungen elend lange dauern und vor allem weil Personal- und Finanzhoheit fehlen – ein Fehler, der durch die neue Konstruktion des KAV mehr schüchtern als mutig behoben wird.

Apropos Mut: Mit dem vorzeitigen Abgang von Thomas Balázs, einem der derzeitigen KAV-Chefs, ist es nicht getan. Zwar lichten sich die Reihen derer, die das KH Nord begleitet haben – Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely ist weg, ebenso der KAV-Chef Udo Janßen. Doch Wehselys Nachfolgerin Sandra Frauenberger wird sich nicht auf den „Ich war nicht dabei“-Standpunkt zurückziehen können. Die Wiener SPÖ hat den KAV politisch konstruiert und wollte das – trotz Warnungen von Experten – Jahrzehntelang nicht ändern. Nun muss sie seine Fehler politisch verantworten.

Das gilt auch für die Fehler der Wiener SPÖ im Wahlkampf, die sich nahtlos in die Pleiten-Pech-und Pannen-Performance der Bundespartei fügen. Und damit ist nicht nur Wiens engerer Beitrag zum Wahlkampf-Management (der frühere Wiener SPÖ-Geschäftsführer Georg Niedermühlbichler) gemeint, sondern die nicht abreißende Kette negativer Schlagzeilen.

Natürlich hat Kurz, den mit den Rathaus-Roten eine ältere Feindschaft als mit Kern verbindet (Haben Sie noch Sonja Wehselys „Geh bitte“ im Ohr?), gezielt mit Integration und Mindestsicherung nach Schwächen in der SPÖ-Hochburg gesucht und oft arg zugespitzt. Aber man hat es ihm auch leicht gemacht. Und dabei übersehen, wie fatal das für die SPÖ in einem Land ist, dessen Bevölkerung latent das Gefühl hat, dass für Politiker – zumindest außerhalb von Wahlkampfzeiten – „Österreich an der Wiener Westausfahrt endet“, wie es Schlagzeuger Martin Grubinger in der „Presse am Sonntag“ formulierte. Das Wasserkopf-Klischee zieht, auch wenn es nicht immer fair ist. Schließlich sind die sozialen Probleme, die andere Bundesländer Wien vorhalten, oft jene, die sie selbst in die Großstadt exportieren. Wobei auch die Wiener SPÖ nicht mit Weitsicht glänzt, ist doch ihr Blick streng auf den Nabel gerichtet. Das wird auch nicht besser, sollte das rote Wien bei der Wahl schlecht abschneiden. Dann wird in der zerstrittenen Partei das große Abputzen beginnen. Die einen werden mit „Seht ihr“-Gestus auf die Kern-Fans zeigen, die umgekehrt dasselbe tun werden.

Und das Krankenhaus Wien Nord? Das wird dann immer noch teuer sein. Sehr teuer.

E-Mails an: ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2017)

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