Leitartikel

Weltmacht ist Europa nur im Moralisieren

APA/AFP/ABDULMONAM EASSA
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Der Syrien-Krieg führt einmal mehr vor Augen, wie wenig Europaauf der Weltbühne mitzureden hat. Und der Sinnlosstreit um Flüchtlingsquoten zeigt, dass sich daran noch lang nichts ändern wird.

Unlängst philosophierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei der Münchner Sicherheitskonferenz über die mangelnde Weltpolitikfähigkeit Europas. Wie zutreffend die Diagnose ist, zeigt sich dieser Tage einmal mehr in der Syrien-Krise. Da bombardiert Assads Regime mit russischer Hilfe ohne Rücksicht auf Zivilisten Wohngebiete im Osten von Damaskus, um Islamisten zu vertreiben. Und den Europäern fällt außer Appellen an Russland, im UN-Sicherheitsrat einer vermutlich ohnehin folgenlosen Waffenruhe zuzustimmen, nichts ein. Weltmacht ist Europa nur im Moralisieren.

In Syrien ist die EU seit Ausbruch des desaströsen Bürgerkriegs vor mittlerweile sieben Jahren abgemeldet. Europäische Regierungschefs haben zwar zu Beginn des Arabischen Frühlings vollmundig und bedingungslos den Rücktritt Assads gefordert. Doch Syriens Präsident ist der Aufforderung nicht gefolgt und hat diverse Sanktionen ignoriert. Danach hat sich Europa nicht mehr viel zu Syrien überlegt: kein Konzept, keine Strategie, nichts. Das ist insofern bemerkenswert, als kaum ein anderer Konflikt den Kontinent so direkt und folgenschwer betroffen hat wie der Krieg in der Nachbarschaft. Die politischen Auswirkungen des Massenexodus Hunderttausender Flüchtlinge nach Europa sind bis heute spürbar.


Zwerge. Dennoch verharrten Deutschland und die restlichen europäischen Zwerge in der Zuschauerrolle. Das hat auch gute Gründe: In Syrien zählt die harte Währung. Nur wer militärischen Einsatz wagt, gestaltet am Ende mit. Und das werden vor allem Russland und der Iran sein. Die Amerikaner sind an den Rand gedrängt, die Europäer nicht vorhanden. Das gilt es zu konstatieren, nicht zu beklagen. Europa muss sich wirklich nicht in Militärabenteuer verstricken lassen. Doch es sollte dann wenigstens den Mund nicht zu voll nehmen, rechtzeitig die Kräfteverhältnisse richtig einschätzen und nach dieser Maßgabe an einer Konfliktlösung mitarbeiten.

Stattdessen stürzen sich die Europäer in ewigem Wiederholungszwang in den fruchtlosen Streit über Verteilung von Flüchtlingen. Es war eine der eher überflüssigen Aktionen der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, vor dem jüngsten EU-Gipfel den osteuropäischen Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, mit Förderkürzungen zu drohen. Denn damit vertieft sie die Gräben in Europa, erinnert an ihre eigenen Fehler in der Flüchtlingskrise – und liefert schlauen Zynikern wie dem Premier in Budapest ideale innenpolitische Steilvorlagen.

Die per Mehrheitsbeschluss durchgepeitschte Quote hat nie funktioniert, außerdem wollen die Flüchtlinge gar nicht nach Ungarn oder Polen. Vielleicht könnte man dies nach mehr als zwei Jahren akzeptieren. Merkel hat ja auch sonst selten Schwierigkeiten, inhaltlich biegsam zu bleiben und Prinzipienreiter im Bedarfsfall absatteln zu lassen. Und Möglichkeiten, ihre Solidarität zu zeigen, hätten die Osteuropäer auch abseits der Flüchtlingsquote zur Genüge.

Solang solche internen Querelen nicht überwunden werden können, muss Europa über Weltpolitikfähigkeit nicht einmal nachdenken. Weder in Syrien noch sonst wo.



christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2018)

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