Leitartikel

Die süße Freiheit

Der Energydrink als Sinnbild der Selbstbestimmung? Die aus Großbritannien zu uns geschwappte Debatte über eine Zuckersteuer ist zu Ende, bevor sie noch begonnen hat.

Kann man sich einen ungünstigeren Zeitpunkt vorstellen, um über eine Zuckersteuer zu reden, als Ostern, wenn alle in Schokohasenohren beißen? Vermutlich nicht. Das sah auch Beate Hartinger-Klein so. Die Gesundheitsministerin drehte die aus Großbritannien exportierte Debatte über eine höhere Softdrinkbesteuerung ab. Laut Regierungsprogramm werde es keine neuen Steuern geben, daher gibt es keine Diskussion.
Und auch keinen allzu lauten Widerspruch.

Das Schicksal der Grünen hat Politiker gelehrt: Von manchen Forderungen lässt man besser die Finger. Vor allem den erhobenen Zeigefinger. Das Problem bei der zuckersüßen Debatte war aber auch, dass man sie von hinten aufgezäumt hat. Denn bevor man über das Wie – nämlich eine Steuer, quasi den Bihänder der staatlichen Intervention – reden kann, müsste man erst das Ob klären. Nämlich, ob das Thema ungesunde Ernährung für die Gesundheitspolitik Priorität hat. Und welche Rolle für sie dabei Zucker spielt. Und ob man überhaupt etwas unternehmen will, was über Sonntagsreden hinausgeht. Solang das offen ist, ist das Zuckersteuer-Für-und-Wider bloß Theorie. Aber spannend. Weil die Idee viel mehr aufregt als alle anderen Maßnahmen (Ampelsysteme für Lebensmittel etc.).

Aber was empört so? Erstens, und das Argument hat Gewicht: Wir zahlen genug. Deshalb kann es nie um eine zusätzliche Steuer gehen, sondern nur um ein Nullsummenspiel: ein Umschichten. Eine Studie der Uni Hamburg hat berechnet, was passiert, wenn man die Mehrwertsteuer auf bestimmte Lebensmittel (von Chips bis Nudeln) anhebt und auf andere (Obst, Gemüse) senkt. Fazit: Wird Gesundes billiger und Ungesundes teurer, ändert sich das Ernährungsverhalten. Aber nur, wenn die Unterschiede drastisch sind.

Wobei jetzt der zweite Einwand kommt: Theorie ist das eine, doch was ist mit der Praxis? Tatsächlich haben derartige Steuern mitunter Nebenwirkungen. Dänemark musste eine Steuer auf gesättigte Fettsäuren wieder abschaffen, weil die Dänen bei den Nachbarn kauften und der bürokratische Aufwand zu hoch war. Das ist bei einer Steuer auf eine einzelne Produktsorte (also diesfalls Softdrinks) einfacher. Freilich könnte auch hier natürlich Zucker teilweise durch Süßstoff ersetzt werden.

Selbst schuld. Doch, wenn man ehrlich ist, geht es beim Widerstand gegen eine Zuckersteuer weniger ums Steuergeld oder Effekte. Vielmehr um etwas Prinzipielleres, Emotionaleres. Es gibt eine breite, philosophisch untermauerte Phalanx, die sich gegen eine Einmischung des Staates ins Privatleben ausspricht. Und für das Recht auf ungesundes Essen. Oder Trinken. Der Energydrink als Ausweis der Freiheit? Abgesehen davon, dass von einem Verbot keine Rede ist und es nur darum geht, die Gesamtmenge des Zuckers zu senken, ist es ein schmaler Grat zwischen dem Hochhalten der Eigenverantwortung und einem gewissen Schulterzucken, das einem auch in der Facebook-Daten-Debatte begegnet: Selbst schuld, wer sich nicht auskennt, nicht Etiketten liest, nicht weiß, dass zuckrige Softdrinks das Sättigungsgefühl täuschen und was im Fruchtjoghurt ist.

Diese Haltung ignoriert einerseits ein statistisch belegtes Gesundheitsgefälle abhängig von Einkommen und Bildung. Andererseits schönt sie das Selbstbild. Wer hat schon den Überblick, wie viel Zucker er oder sie am Tag konsumiert? (Hinweis: es sind durchschnittlich viel mehr als die sechs Teelöffel, die die WHO empfiehlt.) Wohl nicht einmal die „worried well“, die besorgten Gesunden. Außerdem essen und trinken wir im Kontext, d. h. unser Konsum eicht unseren Geschmack. Das bestätigen Gegner der Zuckersteuer, die sagen: Man dürfe den Zuckergehalt in Softdrinks nicht abrupt reduzieren. Das seien die Geschmacksknospen nicht gewohnt. Wobei den heimischen der Schock erspart bleibt. Im Regierungsprogramm steht, man wolle die Lesbarkeit der Lebensmitteletiketten verbessern. Zu winzig, sagt Hartinger-Klein. Man muss klein anfangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.04.2018)

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