Leitartikel

Lauter Opfer, keine Täter

Nationalrat Johann Rädler bliebt bei seinem Zwischenruf "Sie sind nicht in Bosnien".
Nationalrat Johann Rädler bliebt bei seinem Zwischenruf "Sie sind nicht in Bosnien".(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Wer zuerst Entschuldigung sagt, hat offenbar schon verloren. Ob im Nationalrat oder auf Twitter: Warum fällt ein simples „Tut mir leid“ eigentlich so schwer?

Zwischenrufe im Nationalrat sind so außergewöhnlich wie Stau Freitag um 17 Uhr. Trotzdem sorgte es vergangene Woche für einen Eklat, als Johann Rädler (ÖVP) der aus Bosnien stammenden Liste-Pilz-Mandatarin Alma Zadic, die gerade beklagte, Österreich sei durch die BVT-Affäre unsicherer geworden, zurief: „Sie sind nicht in Bosnien, verwechseln Sie das nicht.“ Rädler wurde (verspätet) abgemahnt, aber nicht alle verstanden die Aufregung.

Und genau das ist Teil des Problems. Denn Rädler formulierte bloß, was viele so oft sagen, dass die Deutschen einen Begriff dafür haben: „verbales Ausbürgern“. Menschen mit Migrationshintergrund wird das Recht abgesprochen, ihre zweite Heimat genauso zu kritisieren wie Alteingesessene. Bei so einer Haltung kommt kaum jemand in der neuen Heimat an – und Debatten inhaltlich nicht weiter. Auch beim zweiten Zwischenruf bei Zadics Rede ging es weniger um Manieren als um Prinzipielles. „Alma, bei mir bist du sicher“, ließ der FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Zanger Zadic wissen. Und zwar an dem Tag, als weibliche Abgeordnete von FPÖ und ÖVP (andere Fraktionen schlossen sich an) bei der Angelobung von Peter Pilz aus Protest den Saal verließen. Sexisten, das zeigt Zanger plastisch, sind immer die anderen.

Im Fall Rädler und Zanger gäbe es freilich eine simple Lösung: ein „Tut mir leid“. „Profil“-Journalist Robert Treichler hat zuletzt eine Lanze für die Entschuldigung gebrochen. Anlass war Pilz. Für jene, deren Handeln nicht rechtlich, aber moralisch verurteilt werde, müsse es einen Ausweg aus der Ächtung geben, so Treichler. Eben eine aufrichtige Entschuldigung. Was aber, wenn man sich nicht entschuldigen will? Denn das wollen weder Pilz noch Rädler oder Zanger. Und zwar weder aufrichtig noch als leere Geste. Im Gegenteil, Rädler findet, Zadic müsse sich entschuldigen.

Warum fällt die Bitte um Verzeihung so schwer? Nicht nur hierzulande, generell. Von Gaulands „Vogelschiss“-Sager bis zu den Trump-Tweets: Nichts wird zurückgenommen. Wenn man Populismus antipluralistisch versteht, könnte man den Sorry-Geiz als Trend deuten. Denn wer glaubt, dass (nur) er sagt, was das Volk denkt, nimmt in Anspruch, nie falsch zu liegen. Oder, wie Rädler meint: „Das ist vollkommen in Ordnung, sonst hätte ich es nicht gesagt.“

Dieser Logik folgend muss man auch nicht – wie es eine Entschuldigung versprechen würde – sein Verhalten ändern. Man macht weiter wie bisher. Und fühlt dabei praktischerweise den Zeitgeist auf seiner Seite. Das deutsche Feuilleton war in den letzten Jahren voll von Artikeln über die „neue Empfindlichkeit“, das „Beleidigt-Sein als Volkssport“. Und ja, da ist etwas dran. Manchmal fühlt man sich, wie die Hamburger „Eins, zwo“ einst rappten: „Ich sag schon nicht mehr Hallo, ich sag immer erst Entschuldigung.“ Nur wird dabei eines ausgeblendet: Jene, die am lautesten das Opferdenken beklagen und sich prinzipiell ungern entschuldigen, spielen am allerliebsten das Opfer. Denn sie verweigern die banale Einsicht, dass wir alle ständig die Rolle tauschen. Mal Täter, mal Opfer. Aber wer nie Fehler macht, ist logischerweise nie Täter, nur Opfer. Notfalls halt das unverstandene.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2018)

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