Die Flüchtlingskrise und die Brandstifter

Demonstrationen in Chemnitz
Demonstrationen in ChemnitzREUTERS
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Wie sich rechtsextreme Gewalt nach dem Mord in Chemnitz Bahn brach, war einfach nur widerlich. Das darf kein Rechtsstaat dulden, doch ein Tatverdächtiger hätte längst abgeschoben werden müssen.

Ein Mord in einer sächsischen Stadt mit 240.000 Einwohnern füllt normalerweise gerade einmal eine Randspalte auf den Chronikseiten lokaler Zeitungen. Doch dieser Fall, vor allem die Reaktion darauf, wühlt ganz Deutschland auf. In der Nacht auf vergangenen Sonntag starb in Chemnitz ein Tischler namens Daniel H. (35) an fünf Messerstichen, die ihm ein Syrer (23) und ein vorbestrafter Iraker (22) zugefügt haben sollen. Die Verdächtigen sind in Untersuchungshaft, die Ermittlungen nicht abgeschlossen.

Doch schon Stunden nach der Tat zog ein zorniger Mob durch die Straßen von Chemnitz, brüllte rechtsradikale Parolen und stellte wahllos Passanten nach, nur weil sie wie Migranten aussahen. Die Bilder schockierten Deutschland. Zu Recht fand der Sprecher von Kanzlerin Merkel am Tag danach klare Worte: Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens seien inakzeptabel. Am selben Abend verachtfachte sich die Zahl der Demonstranten in Chemnitz auf 8000 – eine unheimliche Mischung aus Rechtsextremen, Hooligans und Wutbürgern. Wieder kam es zu Ausschreitungen, wieder schien die Polizei heillos überfordert.

Wie sich in diesen Tagen Gewalt und schamloser Rassismus in Chemnitz Bahn brachen, wie Rechtsradikale die Straße eroberten und ungeniert den Hitlergruß zelebrierten, war einfach nur widerlich. Das Verhalten dieser dumpf-grölenden Idioten ist durch nichts zu rechtfertigen. Demokraten aller Lager müssen sich scharf von ihnen abgrenzen, sonst machen sie sich mitschuldig am Verfall grundlegender Anstandsregeln.


Polarisierung. Der Alternative für Deutschland (AfD) käme dabei eine besondere Verantwortung zu. Es ist ihr gutes Recht, Merkels Flüchtlingspolitik zu kritisieren. Dafür wurden sie gewählt. Und es stimmt ja auch: Die beiden mutmaßlichen Täter von Chemnitz kamen im Zuge der Flüchtlingswelle nach Deutschland, einer von ihnen hätte längst abgeschoben werden müssen. Daniel H. wäre noch am Leben, wenn die deutschen Behörden anders gehandelt hätten.

Das regt auch Bürger aus der Mitte der Gesellschaft auf. Sie in einen Topf mit Nazis zu werfen und in überzogenen Kommentaren eine „schleichende Wiederannäherung Deutschlands an seine braune Vergangenheit“ („Spiegel“) zu konstatieren verschärft die Polarisierung nur.

Doch es ist schäbig von den Rechtspopulisten, Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen und Ressentiments zu schüren. Die AfD wiegelt auf, statt auf den Zusammenhalt des Landes hinzuwirken. „Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringende Messermigration zu stoppen“, twitterte einer ihrer Bundestagsabgeordneten nach der Bluttat von Chemnitz perfid, als ob alle Migranten den Messertod brächten.

Die Hunderttausenden Flüchtlinge, die zwischen September 2015 und März 2016 nach Deutschland gezogen sind, werden nicht verschwinden. Es ist ein Gebot der Menschlichkeit und der Vernunft, sie gut zu behandeln und zu integrieren. Gleichzeitig wäre es klug, die Migration zu beschränken, um die Risse in der Gesellschaft nicht zu vertiefen. Beides muss möglich sein.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2018)

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