Laisser-faire ist auch keine Lösung

Symbolpolitik? Mag sein. Aber es ist auch ein Symbol, wenn der liberale, säkulare Staat Grenzen setzt. Anmerkungen zum Kopftuchverbot.

Heikles Terrain. Dünnes Eis. Also, sagt einem die Vorsicht, ist es wahrscheinlich am besten, wenn man sich gar nicht drübertraut. So wie es auch in der Vergangenheit gehandhabt wurde. Man schaut nicht so genau hin. Soll jeder leben, wie er glaubt. Und sich auch so anziehen.

Und es ist für eine liberale Gesellschaft ja auch ein Dilemma: Anderen Vorschriften zu machen, wie sie sich zu kleiden haben, ist im liberalen Denken eigentlich nicht vorgesehen. Was aber, wenn der durchaus begründete Verdacht besteht, dass es Menschen gibt, die anderen Menschen vorschreiben, was sie zu tragen haben? Und hier auch noch ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, sei es als Frau oder als Kind? Und das alles noch religiös begründet und untermauert wird? Mit Vorschriften, die sich rationalem Denken entziehen. Sollte sich dann der liberale, säkulare Staat nicht doch über das dünne Eis drübertrauen?

Ja, sollte er. Denn der Staat zeigt dabei auch, wo er steht. Man kann ein Kopftuchverbot auch als Akt der Solidarität gegenüber jenen ohnehin schon unter Druck stehenden Muslimen sehen, die das Tragen eines Kopftuchs ablehnen, die darin den Ausdruck einer konservativen, reaktionären Spielart ihrer Religion sehen. Menschen, die den Einfluss der Religion auf das Alltagsleben, auf ihr Leben, zurückgedrängt sehen möchten. Wenn der Islam mit dem westlichen Lebensstil vereinbar sein soll, dann ist das Kopftuch nicht gerade ein Zeichen dafür.

Ob in Wien oder Istanbul – die Zunahme der Kopftücher im öffentlichen Raum ist offensichtlich. Gegen diese Widerspiegelung des konservativ-religiösen Backlash hat man ohnehin keine Handhabe. Hier ist nur der mühevolle Weg der Bewusstseinsbildung möglich.

Denn mit Verboten allein ist es ohnehin nicht getan. Gerade die beiden laizistischen Staaten Türkei und Frankreich haben hier nicht die besten Erfahrungen gemacht und eine Jetzt-erst-recht-Stimmung gefördert. Wobei die Islamisten in der Türkei hier eine ähnliche Linie verfolgt haben wie manche Kopftuchverteidiger hierzulande: das Tragen eines Kopftuchs zum Menschenrecht zu erklären. Das den Bürgern von einer säkularen Elite vorenthalten werde. Ein Symbol der Unterdrückung wurde solcherart zum Symbol der Freiheit uminterpretiert. Heute gibt es in der Türkei mehr Kopftücher und weniger Freiheit.

Auf staatlichem Hoheitsgebiet, bei den Beamten, sollte jedenfalls religiöse Neutralität herrschen. Und in Kindergärten und Schulen sollten sich die Kinder darauf verlassen können, dass der Staat sie vor Einflüssen schützt, die sie einengen und diskriminieren. Bis hierher, vor die Schultür, und nicht weiter.

Man kann das durchaus auch liberal begründen. John Stuart Mill, der Vordenker des Liberalismus, plädierte dafür, dass der Staat zum Wohle der Kinder, sofern nötig, deren Eltern entschieden entgegentritt, wenn es um den Zugang zum Bildungssystem geht.

Nun heißt es: Was die Regierung hier mache, sei Symbolpolitik. Und zum Teil haben die Kritiker recht damit, dass die Regierung auch ein taktisches Spiel treibt. Scheibchenweise wird zuerst ein Kopftuchverbot für den Kindergarten, dann eines für Volksschulen vorgelegt. In Vorbereitung ist nun also wohl eines für die Zehn- bis Vierzehnjährigen. Und wenn es nach FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache geht, dann soll sich das Kopftuchverbot in weiterer Folge bis an die Unis erstrecken. Der Verdacht liegt also nahe, dass man damit das Thema über längere Zeit am Köcheln halten möchte.

Und dass die Regierung just eine Woche vor dem SPÖ-Parteitag die Sozialdemokraten mit dem Kopftuchverbot in Volksschulen in die Bredouille zu bringen versucht, sieht auch nicht gerade nach Zufall aus. Die SPÖ wusste aus dem Dilemma dann auch nicht wirklich einen Ausweg. Sie flüchtete sich ins Erwartbare und vermied es, klar Stellung zu beziehen.

Aber: Gerade wenn es um Symbole geht, wie das Kopftuch, dann ist es auch ein Symbol, ein Signal des Staates, dass er hier Grenzen setzt.

Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2018)

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