Journalismus ist keine Literatur, Journalismus ist keine Unterhaltung

Ausgerechnet der „Spiegel“ hat versagt.
Ausgerechnet der „Spiegel“ hat versagt.APA/AFP/JOHANNES EISELE
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Die Fälschungen eines einzelnen Journalisten können wir dem „Spiegel“ zwar vorwerfen, sie sollten aber die gesamte Branche zur Selbstreflexion anregen.

Es ist und war schon immer eine stolze Branche, Journalisten halten und hielten sich immer für Vertreter eines besonders wichtigen Berufsstandes. Nicht wenige sehen und sahen sich als verkannte Kreative und Künstler. Dabei ist Journalismus vor allem eines: ein Handwerk mit Lehre und seltenen Meisterarbeiten. In den vergangenen Jahren ist unsere Sparte unter Druck gekommen. Durch das Verschenken der Inhalte im Netz, vor allem aber durch den Rückgang der Reichweiten von Zeitungen und TV-Anstalten und den gleichzeitigen Siegeszug der sozialen Medien, in denen jede/r die Aufmerksamkeit und damit Öffentlichkeit bekommen kann, die einst Journalisten vorbehalten waren.

Das Misstrauen vieler gegenüber klassischen Medien hat nicht nur mit der Höhe des Rosses zu tun, von dem manche Kollegen nicht heruntersteigen wollen, sondern mit zwei Faktoren. Einerseits wird das vielfach differenzierte Ergebnis einer Recherche immer schwerer zu berichten, zu sehr punkten weniger faktenorientierte, mitunter „alternative Medien“ mit einfachen, eindimensionalen Darstellungen. Zum anderen ähneln einander die Ideen für Recherche, Auswahl und Gewichtung von Themen, ja selbst Meinungen in Kommentaren und Formulierungen vieler Journalisten zu sehr, um von der viel gepriesenen Medien- und Meinungsvielfalt reden zu können.

In dieser schwierigen Situation wird der deutschsprachige Journalismus von einem Fälschungsskandal erschüttert, der hoffentlich ein Einzelfall bleibt, aber viel über die Probleme, Defizite und wohl auch die Hybris dieses Standes aussagt. Ausgerechnet im „Spiegel“ hat ein junger Redakteur über Jahre Reportagen geschrieben, deren Inhalte, Personen und Details zu einem großen Teil erfunden waren. Ausgerechnet er räumte Journalistenpreise ab, deren Sinnhaftigkeit sich vielen Nichtjournalisten ohnehin nie erschlossen hat.

Ausgerechnet der „Spiegel“ verfügt über ein eigenes Ressort für Dokumentation, das jeden Artikel auf Zahlen, Fakten und Personen überprüft und das dennoch angesichts der kreativ-kriminellen Energie eines Einzelnen versagte. Ausgerechnet deutsche Journalistenpreise werden nicht wie in Österreich für soziales Engagement, sondern für handwerkliche Leistung vergeben. Ausgerechnet der „Spiegel“ mag als linkes politisches Magazin gelten, überrascht aber stets mit eigenen Zugängen und neuen Ansätzen. Ausgerechnet der „Spiegel“ hat versagt.

Die Geschichten des Kollegen Relotius klangen zu gut, um wahr zu sein. Schreiben jetzt viele Publizisten. Tatsächlich fiel seine Detailfülle ebenso aus wie seine literarische Dichte. Darin liegt genau das Problem: In den vergangenen Jahren verschwand die Grenze zwischen Literatur – oder besser: Belletristik – und Journalismus. Die Relotius-Reportagen lasen sich stets wie hübsche Mosaike, die wohl perfekt in das Weltbild vieler Leser passten – und in jenes der Vorgesetzten, die seine Texte als Verantwortliche abnahmen. Wenn da etwa die Trump-Anhänger die Ausländerfeinde gaben – oder syrische Flüchtlingskinder rührten und Angela Merkel verehrten.


Relotius stolperte nicht über sich oder seine Chefs, sondern einen freien Kollegen, der seinen Recherchen über US-Milizen misstraute. Anfangs glaubten ihm die Kollegen nicht. Erst später wagte der verantwortliche Ressortleiter die Flucht nach vorne und schrieb – wieder in Reportage-Form – vom Fehlverhalten des Einzelnen. Von Selbstkritik oder Mitverantwortung war wenig zu lesen, wie „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo vermerkte. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Fall im „Spiegel“ und nicht in der mitunter langweiligeren „Zeit“ passierte? Dass die Beförderung des zuständigen Ressortleiters zum „Spiegel“-Chefredakteur nun einmal ausgesetzt wurde, erscheint logisch und ist wohl nur ein erster Schritt.

Um nicht missverstanden zu werden: Solche Fälschungen eines Einzelnen können jedem Medienhaus passieren. Auch der „Presse“. Aber: Schlichte Informationen, transparente Recherchen, davon getrennte klar ausgeschilderte Meinungen werden bei uns weiter Vorrang haben. Literatur und Unterhaltung können andere besser: Schriftsteller, Künstler und Unterhaltungsprofis.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2018)

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