Verzweiflung regiert in Venezuela: Der sozialistische Spuk ist am Ende

Die Venezolaner haben nichts zu verlieren.
Die Venezolaner haben nichts zu verlieren.REUTERS
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Unter Maduro hat der Sozialismus à la Chávez rapide abgewirtschaftet. Für ihn und seine Generäle steht viel auf dem Spiel, das Volk hat nichts zu verlieren.

Allem Anschein nach sind die Venezolaner ein unbeugsames Volk. Dabei haben sie in der lang anhaltenden Krise, in der Misere, in der viele ums nackte Überleben kämpfen, nichts mehr zu verlieren. In den politischen Ernst mischten sich gleichwohl lateinamerikanische Lebensfreude und Optimismus. „Wir sind frei“, prangte auf Transparenten bei den bunten und überraschend entspannten Demonstrationszügen in Caracas. Zehntausende skandierten: „Sie wird stürzen, sie wird stürzen, diese Regierung wird stürzen!“

Die Slogans entwickelten eine so starke Suggestivkraft, dass sich ein bis vor wenigen Wochen noch weithin unbekannter, 35-jähriger Mann zum Übergangspräsidenten proklamierte. Genau dies war die vage Hoffnung des Juan Guaidó, und der Parlamentspräsident nutzte die Gunst der Stunde. Er verlieh einer zermürbten und gespaltenen Opposition neue Energie; er mobilisierte ein zunehmend verzweifeltes Volk, das noch fast jede Schlacht gegen das sozialistische Regime unter Hugo Chávez und Nicolás Maduro verloren hat und zuletzt zu resignieren schien. Die Jungen und Gebildeten, die flexible, relativ wohlhabende Mittelschicht und die Elite flohen in Scharen in die Nachbarstaaten, in die USA und nach Spanien – insgesamt rund ein Zehntel der Bevölkerung.

Hunderttausende waren 2014 und erneut 2017 auf die Straßen gegangen, zuletzt beflügelt vom Triumph der Opposition, die bei den Parlamentswahlen eine Zweidrittelmehrheit erobert und der Regierung hart zugesetzt hatte. Doch Maduro entmachtete das Parlament, ließ Oppositionsführer einsperren und installierte eine verfassungsgebende Versammlung, die sich hauptsächlich aus loyalen Parteigängern rekrutierte. Bei der Präsidentenwahl im Vorjahr, die sich weitgehend als Farce entpuppte, errang der Präsident eine zweite Amtszeit. Die Venezolaner schienen dies hinzunehmen – bis Juan Guaidó wie ein Phönix aus der Asche aufstieg und alles neuerlich ins Rollen kam.

„Das venezolanische Volk hat lang genug unter der desaströsen Diktatur von Nicolás Maduro gelitten“, sagte US-Außenminister Mike Pompeo. Wie wahr. Von Jahr zu Jahr verschlimmert sich die Lage im Land mit den größten Ölreserven der Welt. Die Menschen ächzen unter Hyperinflation und eklatanter Mangelwirtschaft, viele decken sich in Kolumbien mit dem Nötigsten ein. In Venezuela starrt ihnen aus den Supermarktregalen Leere entgegen, für die Lebensmittelknappheit haben sie nur Sarkasmus und Zynismus übrig: „Maduro-Diät“.

Angesichts der wirtschaftlichen Bankrotterklärung des Autokraten Maduro, des unfähigen Erben der „Bolivarischen Revolution“, sollten die Venezolaner ihn und seine Machtclique schon längst aus den Palästen vertrieben haben. Doch der frühere Busfahrer und treue Chávez-Paladin hat seinen Rückhalt im Militär, deren Generäle er mit lukrativen Pfründen und Privilegien versorgt hat. Die Militärs teilen sich die florierenden Geschäfte auf, den Ölhandel, den Bergbau und den Drogenschmuggel. Wie Maduro haben sie viel zu verlieren, und darum werden sie alles daransetzen, sich an der Macht zu halten – und sei es zum Preis eines Bürgerkriegs.

Juan Guaidó spielt auf der anderen Seite ein ebenso riskantes Spiel. Die neue Galionsfigur der Opposition sicherte sich die Unterstützung eines Großteils des Westens und Lateinamerikas, darunter der USA, der EU und der Regionalmächte Brasilien und Argentinien. Im Fall der USA ist dies womöglich kontraproduktiv: Mit Spekulationen über einen aus Washington ferngesteuerten Pusch schürt Maduro seit Langem die Ressentiments. Mag sein, dass sich dieses Szenario schon zu sehr abgenutzt hat, um die eigenen Anhänger aufzuwiegeln. Es bedarf jetzt behutsamer Krisendiplomatie und keiner Militärintervention der USA.

Auf der Gegenseite scharen sich Autokraten als Verbündete Maduros: Putin, Xi Jinping, Erdoğan, Castro – eine bizarre Allianz. In Venezuela bahnt sich eine Abwehrschlacht an. Es steht zu hoffen, dass Teile der Armee von der Fahne gehen und sich auf die Seite des Volks schlagen. Moderate Kräfte in der Armee drängen Maduro zum Rückzug aus freien Stücken. Über kurz oder lang ist dies unausweichlich, notfalls durch einen Putsch.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2019)

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