Der Klimaschutz und die neue Lust am Verbieten

Immer häufiger vernimmt man Appelle, wonach das Verbieten zur politischen Maxime erhoben werden soll.
Immer häufiger vernimmt man Appelle, wonach das Verbieten zur politischen Maxime erhoben werden soll.(c) APA/Gregor Fischer
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Die Idee, man solle das Verbot zur politischen Maxime erheben, passt nicht in die offene Gesellschaft. Sie verhindert zudem den Erfolg ökologischer Politik.

Seit einem halben Jahr treten jeden Freitag in zahlreichen Städten Europas Schüler in den „Klimastreik“. Wenn wir uns die Beckmesserei verkneifen wollen, dass ein Streik streng genommen das Ziel hat, dass der Bestreikte einer Forderung nachgibt, Schulen jedoch beschränkte Möglichkeiten haben, das Begehren nach einer entschlosseneren Klimapolitik zu erfüllen, so müssen wir resümieren: Seit den 68ern hat keine Jugendbewegung das, was in der Gesellschaft für wichtig erachtet wird, so schnell beeinflusst wie diese „Fridays for Future“. Für die Nationalratswahl im September haben sich alle Parteien den Umweltschutz aufs Banner genäht, wie „Die Presse“ vorige Woche in einer Analyse der Parteistrategien berichtete. In Deutschland sind die Themen Klimaschutz und Umwelt erstmals die mit klarem Abstand wichtigsten Probleme, wie man im aktuellen Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen lesen kann. 60 Prozent der Deutschen finden dieser Umfrage zufolge, dass der Ausbau erneuerbarer Energien zu langsam erfolge. Eine von ihnen, Bundeskanzlerin Angela Merkel, murrte vorige Woche in der Sitzung ihrer CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sie wolle „kein Pillepalle“ in der Klimapolitik mehr. Sprich: keine behutsame Babyschrittepolitik mehr, die doch Markenzeichen ihrer langen Kanzlerschaft ist.

An dieser Meinungswende haben die jungen Klimademonstranten großen Anteil, und wer ihnen aus herablassender Herrenreiterpose bekundet, sie mögen doch, bitte schön, ihren Plan für die Rettung des Weltklimas konkretisieren, bevor sie lautstark auf die Straße gehen, hat das Wesen politischer Mündigkeit nicht begriffen: Man darf nicht von jedem, der ein klares Problem benennt, gleichzeitig erwarten, dass er eine Lösung parat hat.

In der Heckwelle dieser neuen Umweltbewegung gewinnt allerdings eine bedenkliche Idee an Zuspruch. Immer häufiger vernimmt man Appelle, wonach das Verbieten zur politischen Maxime erhoben werden soll. „Bitte, bitte mehr Verbote!“ betitelte die „Zeit“-Kolumnistin Mely Kiyak eine viel beachtete Anklageschrift gegen allerlei Unrecht auf der Welt, welche in der Behauptung gipfelt, wonach „der Staat auf dem Fundament von Verboten“ stehe. Denn: „Man kann die Grundrechte nämlich auch so lesen: was alles nicht erlaubt ist.“

Kann man das? Natürlich kann man das. Doch ist die Vorstellung eines Verbotsstaates, der seinen Bürgern primär vorschreibt, was sie nicht dürfen, monströs – vor allem in Europa, wo die Charta der Grundrechte der EU einen Katalog jener Freiheiten herunterdekliniert, um welche die Bürger lang und hart gegen die Obrigkeiten zu ringen hatten (und mancherorts noch immer haben).


Nein, in einer offenen Gesellschaft hat das Verbieten als bevorzugtes politisches Instrument keinen Platz. Es muss stets der Weisheit letzter Schluss sein. Das heißt nicht, dass Verbote zum Zweck des Klimaschutzes nicht sinnvoll sein können. Eine strengere Abgasnorm für Fahrzeuge zum Beispiel birgt das Verbot weniger effizienter Motoren in sich. Doch dagegen kann, sofern die Norm technisch erfüllbar ist, niemand vernünftig argumentieren.

Neben der humanistischen Skepsis gegenüber dem Verbot als politischem Leitmotiv sollten auch praktische Erwägungen die neue Umweltbewegung davon abbringen. Denn wie soll die zwangsweise Dekarbonisierung vonstattengehen, die sich so mancher Kaffeehaus-Robespierre erdenkt? Man führe sich die bittere Erfahrung der französischen Regierung vor Augen, die mit der bloßen Erhöhung der Steuer auf Treibstoff die Revolte der Gelbwesten entfachte. Wenn selbst solche sinnvollen staatlichen Maßnahmen, welche die Klimakosten des Autofahrens auf ihre Verursacher umwälzen, das Volk auf die Barrikaden bringen: Wie will man es dann zu seinem Glück zwingen können?

Steuerliche Anreize, die Kostenwahrheit schaffen, gekoppelt mit einer Entlastung der Abgaben auf Arbeit, dazu viel mehr staatliche Förderung der Erforschung und Entwicklung nachhaltiger Energiequellen: So wird das Versprechen des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen sein – und nicht im Wege jakobinerhafter Verbotspolitik.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.06.2019)

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