Kann Wien Kopenhagen werden?

Sebastian Kurz liebäugelt nun auch offiziell mit einer Minderheitsregierung. Derzeit ist aber nicht abzusehen, wie das längerfristig funktionieren soll.

Was auf den ersten Blick paradox erscheint, hat seine politische Logik: Indem sie nach rechts rückte, hat die dänische Sozialdemokratin Mette Frederiksen eine linke Mehrheit ermöglicht. Bei uns läuft das bekanntlich anders: Da nimmt die SPÖ von den Grünen (das nächste Mal wohl wieder umgekehrt) – und die rechte Mehrheit bleibt bestehen.

Die neue Premierministerin Dänemarks hat in der Zuwanderungsfrage eine für sozialdemokratische Verhältnisse sehr restriktive Politik verfolgt. Also in etwa das, was sich Hans Peter Doskozil für seine Partei auch vorstellt. Damit hat Mette Frederiksen die bisherige liberale Regierung, gestützt von den Rechtspopulisten, abgelöst und ist nun Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung, toleriert von anderen linken Parteien.

Nun stellt sich nur noch die Frage: Wie will Frederiksen ihre Vorstellungen in der Migrationspolitik mit ihren linkeren Partnern umsetzen? Sie denkt gar nicht daran. Sondern will das mit den bürgerlichen Parteien erledigen.

Eine Minderheitsregierung eben. Mal eine Mehrheit mit den einen, mal mit den anderen. So stellt sich das auch Sebastian Kurz vor. Im „Sommergespräch“ auf Puls4 hat er nun auch öffentlich kundgetan, was in seinem Strategiezirkel seit dem Ende von Türkis-Blau Thema war: eine Minderheitsregierung. Kurz, so sagt er selbst, könnte in Sachen Umweltschutz Gesetze mit den Grünen beschließen, in Sachen Migration wieder mit den Freiheitlichen.

Das kann gut gehen. Eine Zeit jedenfalls. Bis zum Budget. Da wird dann jede Partei ihre Wünsche deponieren bis an die Grenze zur Erpressung. Ob die Minderheitsregierung das übersteht? Die Folge wären erneute Neuwahlen.

Abgesehen davon, dass die ÖVP derzeit nicht den Eindruck hinterlässt, als würde ihr das aktuelle Spiel der freien Kräfte so behagen. Eine Minderheitsregierung wäre genau das: ein freies Spiel der Kräfte. Auch da könnte ein Kanzler Kurz jederzeit von Rot und Blau (sofern eine Mehrheit vorhanden) überstimmt werden. Oder eine Partei toleriert die Minderheitsregierung. Aber wieso sollte etwa die FPÖ das tun, wenn sie in einer Koalition eigene Minister unterbringen könnte.

Eine Minderheitsregierung wäre ein Wagnis. Ein spannendes, aber auch ein instabiles. Eine Tradition wie in Skandinavien gibt es hier nicht. Ob man eine solche nun begründen kann, ist fraglich. Denn so wie sich die Parteien derzeit gegenüberstehen, so wenig vertrauensvoll, ist davon auszugehen, dass man den Regierenden bei erstbester Gelegenheit ins Leere laufen lässt.

Dass zur Schau gestellte Stabilität auch nur auf Sand gebaut sein kann, hat man bei der türkis-blauen Koalition gesehen. Wobei die Harmonie in den ersten Monaten tatsächlich nicht gespielt war. Dann jedoch zeigten sich die ersten Risse. Von den Auseinandersetzungen zwischen Sebastian Kurz und Herbert Kickl erfuhr man erst im Nachhinein. Und der kalkulierte Streit für die EU-Wahl lief aus dem Ruder, das Attentat von Christchurch und die nachfolgende Debatte um die Identitären markierten den Beginn der Krise. Ibiza war dann der Schluss- und Höhepunkt.

Eine anfangs innige Beziehung – zeitweilig dachte man, ÖVP und FPÖ könnten überhaupt fusionieren – hat über Nacht im Krach geendet. Das andere Modell war die Langzeitehe zwischen SPÖ und ÖVP, man blieb zusammen wegen der Kinder (also für die eigene Klientel in Gewerkschaften und Bünden), obwohl man sich längst nicht mehr ausstehen konnte.

So gesehen wäre eine Minderheitsregierung tatsächlich ein Befreiungsschlag. Aber wohl auch eine Illusion. Und allfällige Neuwahlen nach ein paar Monaten Minderheitsregierung wird sich auch keiner leisten können. Weder finanziell noch personell.

Eine echte Alternative wäre ein Mehrheitswahlrecht. Aber auch das hat, wie der Brexit zeigt, seine Tücken, wenn sich die Abgeordneten nur mehr ihrem Wahlkreis und nicht dem großen Ganzen verpflichtet sehen. Dennoch hätte so ein Parlament mit wirklich direkt gewählten Abgeordneten gerade auch bei einer Minderheitsregierung seinen Charme.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2019)

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