Hausärzte-Verdrossenheit: Wie die Patienten vergrämt wurden

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OrdinationClemens Fabry
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Die Zahl jener, die Fachärzte aufsuchen, ohne zuvor beim Hausarzt gewesen zu sein, steigt rasant. Haben Allgemeinmediziner endgültig ausgedient?

Jeder kennt das. Man geht zu einem Facharzt und wird von der Ordinationsassistenz gefragt, ob man eine Überweisung vom Hausarzt habe. Wenn ja, ist alles gut. Wenn nein, auch. Behandelt wird man so oder so. Selbiges gilt für eine Spitalsambulanz. Eine Überweisung ist also keine Voraussetzung dafür, die Dienste eines Facharztes in Anspruch zu nehmen. Die Patienten entscheiden selbst, welcher Mediziner in welcher Einrichtung ihrem Anfangsverdacht auf eine Erkrankung nachgeht. Seit 2005 genügt dafür die E-Card, zuvor waren eine Überweisung bzw. Zuweisung oder ein sogenannter Facharztkrankenschein erforderlich. Der Hausarzt war also schwer zu umgehen. Damit ist es schon lang vorbei.

Mit der Einführung der E-Card begann auch der Bedeutungsverlust des Hausarztes: Aus einer aktuellen Studie der Med-Uni Wien geht hervor, dass immer mehr Menschen einen Facharzt oder eine Spitalsambulanz aufsuchen, ohne zuvor bei ihrem Hausarzt gewesen zu sein. Hatten 2006 noch 15,1 Prozent der Österreicher in den vorangegangenen zwölf Monaten ohne vorherigen Besuch ihres Hausarztes einen Facharzt konsultiert, waren es 2014 schon 18,8 Prozent. Tendenz stark steigend.

Nun lassen wir einmal die Frage beiseite, ob es medizinisch und ökonomisch sinnvoll ist, es dem Ermessen der Patienten zu überlassen, welchen Arzt sie bemühen – anstatt die spezialisierten und damit teureren Stufen der Gesundheitsversorgung ausschließlich durch Gatekeeping der Hausärzte folgen zu lassen, wie das in vielen anderen Ländern der Fall ist. Und konzentrieren uns auf eine andere, nicht weniger wichtige Frage: Wann hat der Hausarzt eigentlich derart an Vertrauen, Prestige und Autorität eingebüßt? Wie kam es zur, nennen wir es Hausärzte-Verdrossenheit der Österreicher?

Die Antwort liefert das eingangs erwähnte Beispiel und heißt Überweisung – die Patienten brauchen sie nicht mehr. Und entscheiden sich daher vermehrt für One-Stop-Shops – also einen Arzt- oder Spitalsbesuch, der zwar länger dauern kann, an dessen Ende aber eine Diagnose sowie Therapie stehen. Ohne Spießrutenlauf. Denn viele praktische Ärzte haben sich in den vergangenen Jahrzehnten – vor allem in Städten – selbst zu reinen Überweisern degradiert. Zumeist mit dem Argument, dass zahlreiche ärztliche Leistungen von den Kassen schlecht honoriert würden und nicht rentabel seien.

Das ist nicht ganz falsch. Aber auch nicht ganz richtig. Dass Hausärzte als eine wichtige Stütze des Gesundheitssystems von den Kassen lange Zeit stiefmütterlich behandelt wurden und auch unter der steigenden Zahl an Privatversicherten leiden, die auf Wahlärzte ausweichen, ist unbestritten. Aber sie haben diese Entwicklung teilweise auch zugelassen, indem sie vernachlässigten, Ordinationen technisch aufzurüsten und Behandlungen anzubieten, die sich sehr wohl auszahlen. Oder sich mit anderen Ärzten zusammenzuschließen, um länger offen halten zu können – ein Konzept, das Primärversorgungszentren umsetzen sollen, ohne darin aber aus diversen Gründen bisher erfolgreich zu sein.

Übrigens: Wenn es ohnehin keinen Unterschied macht – warum wird man beim Facharzt dann noch nach einer Überweisung gefragt? Nun, einen kleinen Unterschied gibt es schon. Pro Quartal darf man nur einen Arzt desselben Faches (auch mehrmals) und drei Fachärzte insgesamt (plus Zahnarzt) ohne Überweisung aufsuchen – bei weiteren braucht es eine Überweisung, sonst zahlt die Krankenkasse nicht. Ab dem vierten Facharzt braucht man also einen Hausarzt. Oder muss den Besuch bei der Kasse selbst begründen. Diese Möglichkeit wird immer öfter genutzt.

Sie hören es nicht gern – und sind auch nicht allein dafür verantwortlich –, aber Hausärzte haben ihre Patienten ein Stück weit selbst vergrämt. Jetzt liegt es in ihrer Verantwortung, die (längst überfällige) Erhöhung der Hausarzthonorare Anfang des Jahres zum Anlass zu nehmen und mit neuen Ideen und Angeboten verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen – um wieder mehr zu sein als der, zu dem man geht, wenn man ein Rezept braucht. Denn irgendwann wird sich herumsprechen, dass man auch Rezepte bei jedem Facharzt bekommt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2019)

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