Darf der Staat auf Kosten künftiger Generationen wirtschaften?

Der Staat dürfe nicht auf Kosten künftiger Generationen wirtschaften, sagte Finanzminister Eduard Müller.
Der Staat dürfe nicht auf Kosten künftiger Generationen wirtschaften, sagte Finanzminister Eduard Müller.(c) imago/Westend61 (imago stock&people)
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Österreich legt seinen Kindern hunderte Milliarden an Verbindlichkeiten in die Wiege. Vieles davon ist längst konsumiert, wenn es ans Zahlen geht.

Der Staat dürfe nicht auf Kosten künftiger Generationen wirtschaften, sagte Finanzminister Eduard Müller gestern im Parlament. Schön gesagt, wer würde dem nicht zustimmen!

Die Parlamentarier taten im Anschluss daran allerdings genau das, was der Finanzminister zuvor kritisiert hatte: In einem Anfall von Kasino-Parlamentarismus wurden im „freien Spiel der Kräfte“ eine Reihe von Beschlüssen gefasst, die unser ohnehin weltmeisterlich üppiges Sozialsystem noch ein wenig mehr aufpeppen, also mögliche Wähler für den Herbst gnädig stimmen.

Schön für die potenziellen Empfänger. Aber einigen dieser Maßnahmen fehlt bisher ein klitzekleines Detail: Die finanzielle Bedeckung. Macht nix, wird sich mancher Parlamentarier gedacht haben. Bis es ans Zahlen geht, genieße ich längst meine Politikerpension. Außerdem: Wir sind ja ein reiches Land.

Sind wir das? Eine erhellende Lektüre dazu liefert der Rechnungshof mit seinem jährlich erstellten Bundesrechnungsabschluss, einer Art Bilanz der Republik. Der letzte für 2018 ist vorige Woche veröffentlicht worden. Und er enthält neben ein bisschen Lob für die etwas solider gewordene Budgetpolitik auch ein paar höchst interessante Zahlen.

Beispielsweise die, die eine nach wirtschaftlichen Kriterien ziemlich gravierende Überschuldung der Republik enthüllen: Den rund 100 Milliarden Euro Bundesvermögen stehen nämlich satte 254,7 Milliarden Euro „Fremdmittel“ gegenüber, davon 211 Milliarden Euro Finanzschulden des Bundes. Dazu kommen noch 100 Milliarden an Haftungen, die aber nicht unbedingt schlagend werden müssen.

Und dann kommt's: Mit 124 Milliarden Euro beziffert der Rechnungshof die „Belastungen für zukünftige Finanzjahre“. Das sind künftige Ausgaben, die bereits fix beschlossen, für die die entsprechenden Finanzierungen aber noch nicht unter Dach beziehungsweise die entsprechenden Kredite noch nicht aufgenommen sind. Etwa für künftige Zinszahlungen für die Staatsschuld (derzeit 58 Milliarden Euro) oder für sündteure Eisenbahn-Infrastrukturprojekte (35,5 Milliarden Euro).

Wollte man das Ganze polemisch-plakativ formulieren, dann könnte man jetzt sagen, dass jeder neu geborene Österreicher schon beim Eintritt ins Leben 23.900 Euro Bundesschuld, 14.090 Euro „Verpflichtungen zu Lasten künftiger Finanzjahre“ und 11.300 Euro an Bundeshaftungen umgehängt bekommt. Eine ganz schön schwere Hypothek, zumal da ja Landes- und Sozialversicherungsverbindlichkeiten und beispielsweise implizite Schulden für zugesagte, aber nicht gedeckte Pensionsverpflichtungen noch gar nicht enthalten sind.

Es ist also so, dass dieser Staat, auch wenn er das laut Herrn Müller nicht „darf“, längst recht üppig auf Kosten künftiger Generationen wirtschaftet. Natürlich kann man das nicht so plakativ sagen. Wenn das Geld klug investiert wird, dann bekommen künftige Generationen ja auch etwas dafür.

Wenn etwa Investitionen in Bildung und Forschung dazu führen, dass Österreich seinen momentan doch beträchtlichen Rückstand in derzeit heftig umkämpften Zukunftsfeldern wie Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz aufholen und damit seine Stellung in der industrialisierten Welt (und seine Fähigkeit, sein Sozialsystem finanziell abzusichern) festigen kann, dann sind künftige Generationen nicht belastet, sondern eher gut bedient.

Wenn man die Nachfolgegenerationen dagegen mit Verbindlichkeiten für Staatsschuldenzinsen und finanziell ungedeckte Sozialleistungen, die dann längst schon konsumiert sind, zudeckt, dann ist das doch ziemlich verantwortungslos. Da hilft es auch nichts, die längst bestehende, aber nicht gerade rasend wirksame Schuldenbremse verfassungsmäßig abzusichern.

Leider lässt sich in der dieswöchigen Agenda des Parlaments Zukunftsorientiertes nicht einmal mit der Lupe finden. Wenn das freie Spiel der Kräfte jetzt eine Art Zentralmatura für die Parlamentarier ist, dann sind sie damit wohl mit Bomben und Granaten durchgefallen.

E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2019)

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