Langweilig wird es mit Boris Johnson gewiss nicht

Boris Johnson polarisiert.
Boris Johnson polarisiert.(c) APA/AFP/LEON NEAL
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Großbritanniens schillerndester Politiker folgt seinem großen Vorbild Winston Churchill – und Briten wie Europäer hoffen, dass er ihm gerecht wird.

Seit er als Bub darüber fabulierte, dereinst der „König der Welt“ zu sein, hat sich Boris Johnson im Grunde genommen auf die Rolle seines Lebens vorbereitet – auf die des britischen Premiers. Als Protagonist in einer Schulaufführung von „Richard III.“ in Eton, als Präsident des elitären Debattierklubs Oxford Union an der Universität, als Korrespondent in Brüssel und Lieblingsjournalist Margaret Thatchers, als Herausgeber, Autor, Abgeordneter, Londoner Bürgermeister und letztlich als Außenminister suchte er das Rampenlicht und die Zuneigung – oft genug als Clown und Harlekin, als selbststilisierte Witzfigur zum Gaudium des Publikums.

Keine Funktion füllte den schillerndsten britischen Politiker seit Winston Churchill – seinem großen Vorbild, dem er in der Absicht einer Selbstspiegelung eine Hagiografie widmete – je voll aus. Zu spielerisch, leichthändig und unernst war bis dato sein Amts- und Berufsverständnis.

Eine seiner Schwächen besteht darin, dass ihm rasch langweilig wird.

Viele Parteifreunde, viele Landsleute ließen dem Enfant terrible wegen seines Charmes und Charismas, seines Humors und der Selbstironie – fast – alles durchgehen: Seitensprünge, Bocksprünge, Geschmacklosigkeiten und Unwahrheiten. Hauptsache, sie amüsierten sich prächtig mit Boris, wie er von Freund wie Feind, landauf und landab genannt wird. Er ist beileibe nicht Everybody's Darling: BoJo polarisiert. Doch wie kaum ein anderer Politiker bedient Johnson den Hang zur Personalisierung und Boulevardisierung.

Im Juli 2016, unmittelbar nach dem Brexit-Votum, das er mit einer überraschenden Volte maßgeblich mitherbeigeführt hatte, brachte ihn als Favoriten die Intrige seines Intimus und Rivalen Michael Gove zu Fall und um den ersehnten Top-Job in der Downing Street. Drei Jahre später schließt sich der Kreis: Nach Ab-, Um- und Irrwegen ist Johnson am Ziel seiner Träume – und Kritiker meinen, ihn ereile die gerechte Strafe für das Schlamassel, das er angerichtet hat. Zwei Drittel der Tory-Mitglieder, rund 92.000 Briten, kürten ihn in einer Urwahl zum neuen Parteichef und somit zum Premierminister.

Es ist ein Kreis, der weißer, älter, reicher ist als der Durchschnitt der britischen Bevölkerung und mehrheitlich im Süden Englands lebt. Das Prozedere rief vorab Kritik hervor. Das Votum zeigt indessen auch, dass die Tories nur Johnson zutrauen, den gordischen Brexit-Knoten aufzulösen – und im Notfall zu zerschlagen – sowie eine Wahl gegen Labour-Chef Jeremy Corbyn und den Brexit-Zampano Nigel Farage zu gewinnen.

Johnson ging mit Verve und Optimismus an die Sache heran, was zunächst einmal im wohltuenden Kontrast steht zum Geraune und den permanenten Untergangsprophezeiungen. Im besten Kennedy'schen Sinn sollte die Metapher von der Mondlandung die vom Brexit gebeutelte Nation moralisch aufrichten. Allerdings sollte er es sich mit der Heraufbeschwörung von Glanz und Gloria des britischen Empire und seiner herbeigeredeten Renaissance in der Post-Brexit-Ära nicht zu leicht machen.

Auf Boris Johnson wartet eine Mammutaufgabe, die eines Winston Churchill würdig wäre: die Regierung in Auflösung, Widerstand in den eigenen Reihen, die Einheit des Königreichs in Gefahr, das Pfund im Trudeln und die Wirtschaft im Abwärtssog. So wie Churchill, das schlampige Genie und der brillante Rhetoriker, mit der Größe und Herausforderung der Aufgabe im Zweiten Weltkrieg wuchs und zum Staatsmann reifte, so muss sich nun Johnson beweisen. Der Witz und die Wortgewalt eines Kolumnisten sind eine Sache – das Verantwortungsbewusstsein, die harte Arbeit und das Sensorium eines Regierungschefs eine ganz andere.

Der Egozentriker Johnson ist flexibel genug, seine Prinzipien über Bord zu werfen. Ein Brexit zu Halloween, „komme, was wolle“ – zur Not auch ohne Deal mit der EU: Ein großes Drama von Shakespeare-Dimensionen kündigt sich an – oder eine Schmierenkomödie. Bei BoJo weiß man das nie so genau. Gewiss ist nur eines: Langweilig wird es nicht. Oder um es mit einem Bonmot Johnsons zu sagen: „Es gibt keine Desaster, nur Gelegenheiten. Und natürlich Gelegenheiten für neue Desaster.“

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2019)

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