Zur Sache

Die Spitzenkandidaten bei der TV-Konfrontation der "Presse" und der Bundesländerzeitungen vergangene Woche in Salzburg.
Die Spitzenkandidaten bei der TV-Konfrontation der "Presse" und der Bundesländerzeitungen vergangene Woche in Salzburg.(c) Andreas Kolarik (Andreas Kolarik)
  • Drucken

Statt den Wahlkampf auf eine Person zuzuspitzen, wären Sachthemen wie Bildung zu verhandeln.

Wer hätte gedacht, dass wir uns einmal die Balkanroutenschließung zurücksehnen. Denn hinter dem Begriff steckte ein großes zukunftsbestimmendes Thema für Europa und die Welt. Wie wollen wir mit Migration aufgrund von Kriegen, Naturkatastrophen und Armut umgehen? Müssen wir Europa abschotten, so das überhaupt möglich ist? Oder sollen wir uns eingestehen, dass Völkerwanderungen in der Vergangenheit und in Zukunft zur Weltgeschichte gehören, diese nur bedingt zu verhindern sind und wir uns daher mit den Folgen beschäftigen sollten? Auch wenn diese Debatte polemisch, populistisch oder naiv geführt wurde, es war eine inhaltliche Kontroverse, die uns im Wahlkampf vor zwei Jahren beschäftigte. Wer übrigens glaubt, dass sie aus den Köpfen der Wähler einfach verschwunden ist, irrt schlicht.

Nun haben wir 2019 ein anderes Problem, das für die einen lösbar ist, für die anderen ziemlich direkt in die Apokalypse führt. Einige heiße Sommer und eine Bewegung von entschlossenen Schülern hat uns den Klimawandel (wieder) ins Bewusstsein gebracht, er wird von dort nicht mehr so schnell verschwinden. So gesehen haben wir wieder ein wichtiges und ernstes Wahlkampfthema, das aber einen sonderbar peinlichen Effekt hat: Plötzlich versuchen alle, Grüne zu sein. Norbert Hofer entdeckt seinen grünen Daumen. Sebastian Kurz ließ sich im Parteiarchiv das alte Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft ausheben. Die Neos packen den Stier bei den Hörnern und fordern gar eine CO2-Steuer. Die SPÖ positioniert sich als grüne Alternative, die auch den Pendlern nicht wehtun kann. Peter Pilz ist auch noch ein bisschen da und hofft auf ein Plätzchen im Ausgedinge, wenn die Grünen wieder ihren Hof bezogen haben. Denn eigentlich machen alle ein bisschen Wahlkampf für die Originalen. Vielleicht wird es die Partei im Land sein, die gleichzeitig den Doppelsprung schafft: in den Nationalrat und in die Regierung. Soll heißen: Alle wollen den Klimawandel verhindern oder verlangsamen, nur die Methodik ist umstritten. Geleugnet wird er nicht einmal mehr von der FPÖ. Zumindest nicht offiziell.

Aber sonst ist die Politik mit sich selbst beschäftigt – mit dem Streit über die Spielregeln derselben. Es wird ein Wahlkampf über den Wahlkampf geführt, wie viel er kosten darf, ob und wer für ihn spenden darf und was man dafür verrechnen darf. Um nicht falsch verstanden zu werden: Das gehört zur Politik und ist wichtig. Die Übertretung der Wahlkampfkostenobergrenze von ÖVP und – weniger – von FPÖ und SPÖ ist insofern ein massives österreichisches Problem, als die Übertretung sehenden Auges und ohne Skrupel vollzogen wurde. Und dann gab es eine schlawinerhafte „Entschuldigung“.

Aber sonst herrscht in diesem Wahlkampf eine beschämende Inhaltsleere, der wir in dieser Zeitung mit aufbereiteten Sachtexten gegenhalten wollen. Bevor nun Thomas Drozda das Mobiltelefon ergreift, um einen bösen Tweet abzusetzen: Ja stimmt, die SPÖ thematisiert auch die drängenden Probleme Pflegenotstand – ja, den gibt es – und das leistbare Wohnen, das seltener wurde. Und ja, Beate Meinl-Reisinger, die Neos haben auch gute Anträge im Parlament eingebracht, denen die anderen dann oft nicht zustimmten. Die stärksten Emotionen in diesem Wahlkampf löst aber etwas beziehungsweise jemand ganz anderer aus: Sebastian Kurz. Seine Person polarisiert das gesamte politische Spektrum – viel stärker als seine Vorgänger, egal, ob Kanzler oder ÖVP-Chef bis zurück zu Wolfgang Schüssel. Daher setzen ihn Gegner und Unterstützer zur Mobilisierung der eigenen Wähler ein. Und ja, Kurz hat sich seine vielen Gegner auch verdient, redlich und weniger redlich.

Nichtsdestoweniger lassen Medien und Politiker die Zuspitzung auf eine einzelne Person zu, die die gesamte Debatte – je nach Standpunkt – überstrahlt oder verdeckt. Beginnen wir mit dem allerwichtigsten Thema: der Bildung. (Ja, Neos und SPÖ plakatieren sie jetzt endlich wieder.) Wir haben noch immer nicht geklärt, wie die Schulen der Zukunft aussehen sollen und wie viele Lehrer dort was, wie und wie lang (!) unterrichten sollen. In Städten wie Wien ist die zentrale Aufgabe der Schule längst nicht mehr nur Ausbildung, sondern Integration und mitunter Sozialhilfe. Wir haben auch nicht ehrlich über das künftige Sozialsystem gesprochen: Wie groß und dicht soll es gestrickt sein? In seiner jetzigen Ausprägung ist es weder finanzierbar noch gesellschaftlich sinnvoll. Das gleiche gilt für das Pensionssystem, dessen echte umfassende Reform ÖVP, SPÖ und FPÖ in erschreckend ähnlicher Wortwahl ausschließen. Und hat irgendjemand vor diesen Regionalwahlen ein Wort über internationale Politik gehört? Wo ist die künftige Position Österreichs? Am Rockzipfel in Berlin? Oder halb bewundernd in Moskau? Mit Knicks? Hinter vorgehaltener Hand begeistert in Washington? Und war da was mit Brexit und einer noch immer nur teilhandlungsfähigen EU? Oder haben wir die Sicherheits- und Außenpolitik als erstes Land nach Brüssel delegiert? Das wäre zumindest eine Linie.

Aber ich will nicht alles schlechtschreiben: Dass ÖVP, FPÖ und Neos gemeinsam eine Schuldenbremse im Nationalratsausschuss beschlossen haben, ist zumindest ein kleiner Lichtblick.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.