Das neue Hilfspaket bringt den Griechen bestenfalls Zeit, schlechtestenfalls eine Verzögerung des Neustarts. Diesen kann es nur mit einer weichen Währung schaffen.
Es ist vollbracht. Nach Monaten harter Verhandlungen, verschobener Beschlüsse und verlängerter Fristen gibt es eine Einigung auf ein neues Griechenland-Hilfspaket. 130 Milliarden Euro werden die EU-Staaten nach Athen überweisen. In Brüssel, Berlin und Paris herrscht große Freude und Erleichterung über diese „beispiellose Solidarität der Euro-Partnerstaaten“, wie Währungskommissar Olli Rehn meinte.
Alles paletti also? Die Schuldenkrise ist gelöst, und Europa kann sich nun wieder aus seiner Schockstarre lösen und zum Alltagsgeschäft übergehen? Nicht wirklich. Denn an den strukturellen Problemen Griechenlands hat sich nichts geändert. Es ist daher nicht unwahrscheinlich, dass sich das bekannte Spiel wiederholt und schon in ein paar Monaten Verhandlungen über ein neues „neues“ Hilfspaket beginnen.
Denn Griechenland hat zwei gravierende Probleme. Erstens gibt das Land im Verhältnis zu seiner Wirtschaftskraft zu viel Geld aus. Und damit ist nicht nur das Faktum gemeint, dass nahezu jeder zwölfte Grieche beim Staat angestellt ist. Angefeuert von den niedrigen Zinsen für Staatsanleihen nach Einführung des Euro versuchte Griechenland in den vergangenen Jahren Infrastruktur und Sozialsysteme auf mitteleuropäisches Niveau zu heben. Dies, obwohl dem Land dafür die notwendige wirtschaftliche Kraft fehlt, wie Wifo-Chef Karl Aiginger feststellte.
Denn auch, wenn es viele nicht wahrhaben wollen: Ein Staat kann für Soziales nur so viel ausgeben, wie von der Wirtschaft zuvor erarbeitet wurde. Dass Mitteleuropa so ein feiner Fleck zu leben ist, hängt also direkt damit zusammen, dass es hier äußerst produktive und exportfähige Unternehmen gibt.
Und dies bringt uns zum zweiten Punkt der griechischen Misere. Die da lautet, dass das wettbewerbsschwache Griechenland in den vergangenen Jahren noch weiter an Konkurrenzfähigkeit verloren hat. So konnte die Produktivität der griechischen Wirtschaft nicht mit den Lohnsteigerungen mithalten. Dies betraf nicht nur die ohnehin schwach ausgeprägte Industrie. Auch Lebensmittel in griechischen Supermärkten kommen zunehmend aus Deutschland oder Dänemark, weil sie dort billiger produziert werden. Hinzu kommt, dass Touristen aufgrund der hohen Preise ihren Urlaub auf Rhodos und Kreta zunehmend gegen einen Aufenthalt in Antalya oder Izmir tauschten. Kein Wunder. Erhält ein Tourist für 100 Euro in der Türkei Waren und Dienstleistungen, die in Österreich 143 Euro kosten würden. In Griechenland liegt der Gegenwert bei 107 Euro.
Griechenland muss weniger Geld ausgeben und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft erhöhen. Für Ersteres sorgt das harte Sparprogramm, zu dem die Griechen von EU und IWF verdonnert wurden. Dieses hat jedoch den unangenehmen Nebeneffekt, dass es die Wirtschaft weiter schwächt und die Rezession verschlimmert.
Die Sparanstrengungen zu lockern ist aber keine Option, weil andernfalls die Verschuldung neuerlich explodierte. Also muss Griechenland seiner Wirtschaft einen Wettbewerb-Stimulus geben. Etwa, indem es aus dem Euro austritt. Dann könnte Griechenland abwerten und die Preise auf das Niveau der Türkei senken, wie der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn kürzlich meinte. Der Tourismus, der immerhin für fast 20 Prozent des griechischen BIPs und jeden fünften Arbeitsplatz sorgt, würde einen kräftigen Schub erhalten. Und in den Supermärkten würden die Griechen weiter zum billigeren Joghurt greifen, nur dass dieses dann wieder aus ihrem eigenen Land käme.
Natürlich wären auch damit noch nicht alle Probleme gelöst. Strukturelle Reformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, könnte sich Griechenland auch mit der Drachme nicht ersparen. Und das Bankensystem müsste mit EU-Hilfe vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Es würde den Griechen sicher noch länger schlechter gehen als vor der Krise.
Ein Verlassen der Eurozone würde für Griechenland aber zumindest die Chance auf einen Neuanfang bringen. Das derzeitige Lavieren von Hilfsprogramm zu Hilfsprogramm erinnert indes eher an einen Drogensüchtigen, der statt eines Entzugs in einem Programm für Ersatzdrogen ist.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2012)