Komödiantischer Zwischenakt der griechischen Tragödie

Ausgerechnet Antonis Samaras gilt in der EU jetzt als Garant für die Rettung Griechenlands. Eine bessere Pointe hätte auch Aristophanes nicht setzen können.

Wenn jemand wie Wolfgang Schäuble, ein Bollwerk schwäbischer Rationalität, einmal dem Wunschdenken verfällt, muss man wirklich alarmiert sein. Die deutsche Bundesregierung werte den Sieg der Konservativen in Griechenland als „Votum der Bevölkerung, auf dem Weg tief greifender wirtschafts- und finanzpolitischer Reformen weiter voranzugehen“, verkündete der Finanzminister noch in der Wahlnacht. Das Einzige, was an diesem Satz richtig ist, ist der Beistrich.

Antonis Samaras mag nach seinem Wahlsieg vom Sonntag viel gesagt haben – das Wort Reform ist nicht protokolliert. Und dass eine Regierung unter seiner Führung den Reformweg fortsetzen würde, kann eigentlich nur Sarkasmus sein, würde es doch bedeuten, dass in Athen mit ernsthaften Reformen bereits begonnen wurde: Man könne nicht vom Scheitern einer Politik sprechen, die gar nie angewendet wurde, kommentierte ein griechischer Ökonom in der „FAZ“ die für ihn absurde Kritik an den Auflagen der internationalen Geldgeber. Effizientere Steuereintreibung? Aufgeschoben. Liberalisierung „geschlossener“ Berufe? Fehlanzeige. Entschlackung des aufgeblähten Staatsapparats? Kaum angedacht.

Oft ist vor der Gefahr gewarnt worden, sich an Griechenland anzustecken. Schäuble hat sich offenbar angesteckt: an der griechischen Krankheit, die Realität zu beschönigen und zurechtzubiegen, wie es gerade opportun ist.

Ein Beispiel gefällig? An der Misere sei gar nicht Griechenland schuld, sondern die Architektur des Euro, orakelte der unehrenhaft aus dem Amt geschiedene sozialistische Ex-Premier Giorgios Papandreou. Dann war es also nicht die Athener Regierung, die sich mit falschen Zahlen in den Euro schwindelte? Und es war wohl auch nicht exzessive Klientelpolitik, die zigtausende überflüssige Jobs im Staatsdienst schuf. Mit Sicherheit trägt Papandreou auch keine Mitschuld daran, dass das Land dort steht, wo es jetzt eben steht: kurz vor dem Staatsbankrott, was vor allem die ärmeren Bevölkerungsgruppen ausbaden müssen. Wobei sein Satz ein Körnchen Wahrheit enthält: Wäre das Regelwerk der EU strenger, dann wäre Athen mit all dem nicht durchgekommen, nur hat Papandreou das so wohl nicht gemeint.

Griechenland ist damit durchgekommen, und dieser Erfolg macht dreist: Auch jene Parteien, die im über Samaras' Wahlsieg besinnungslos glücklichen EU-Europa jetzt als „Reformer“ gelten, fordern eine Fristerstreckung für die Erfüllung der Auflagen und weitere Konzessionen der Partnerländer. Wer dies fordert, hält es wohl auch für kleinlich, wenn man die 200 Milliarden, die die anderen Eurostaaten Athen in den vergangenen zwei Jahren geliehen haben, bereits als Entgegenkommen sieht.


Viel zu spät hat man in Brüssel und den EU-Hauptstädten gewagt, den „Grexit“ ein reales Szenario zu nennen, als dass Athen dies noch ernst nehmen würde. Sie werden vielmehr darauf spekulieren, dass die EU-Partner schon allein deshalb weiterzahlen werden, weil sie bereits so viel gezahlt haben (das köstliche Buch „Die unwiderstehliche Zugkraft irrationalen Verhaltens“ der Brüder Rom und Ori Brafman erklärt, warum). Und wer so gut Theater spielt wie die Griechen, der durchschaut auch die Schauspielkunst der anderen.

Wobei das, was in Griechenland und Europa derzeit zur Aufführung gelangt, oft als Tragödie missverstanden wird. In Wahrheit ist es eine Komödie, wie sie Aristophanes nicht beißender zu Papyrus hätte bringen können. Die beste Pointe liegt darin, dass ausgerechnet Antonis Samaras als Garant dafür gilt, den griechischen Streitwagen wieder flottzumachen. Jener Politiker, der bis vor Kurzem die Abkommen Athens mit den Geldgebern noch als Teufelszeug ablehnte und Parteifreunde, die dafür stimmten, ostrakisierte. Samaras gehört genau zu der alten Garde Politiker, die die jetzige Misere zu verantworten haben. Nur: Es gab keine Alternative außer einem linksradikalen Träumer.

Und es gibt – für Griechenland wie die EU – keine Alternative dazu, die permanenten (Selbst-)Täuschungen aufzugeben. Wenn es mit dem Land eines Tages wieder aufwärtsgehen soll, dann erreicht man das nur, indem man sich schonungslos der Realität stellt. In Athen wie in Brüssel.

E-Mails an: helmar.dumbs@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2012)

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