Forschung: Auch nur so ein Mädchending?

Die Europäische Kommission will junge Frauen für die Naturwissenschaften gewinnen – und handelt sich eine handfeste Sexismusdebatte ein.

Bunte Lichter, knappe Kleidchen, hohe Absätze, geschürzte Lippen: Drei hübsche Frauen toben zu fetzigen Klängen durch ein Szenario, das ebenso einem Popmusikvideo wie einem Werbespot für Parfum entnommen sein könnte, spielen mit Lippenstiften, lassen Schminkpinsel stauben, und schwingen, wo es nur geht, ihre miniberockten Hüften. Seit Ende vergangener Woche ist dieses Filmchen unter dem Titel „Science: It's a girl thing!“ auf YouTube zu sehen. Sein Auftraggeber, die Europäische Kommission, möchte damit das Interesse von Mädchen für die Naturwissenschaften wecken.

Hier gibt es nämlich ein Problem: Mehr als die Hälfte aller Hochschulabsolventen in der EU ist weiblich. Doch in den Naturwissenschaften sind Frauen ganz schwach vertreten. Sie machen dort nur 40,2 Prozent der Absolventen aus. Je technischer es wird, desto spärlicher sind Frauen vertreten. Das will die Kommission ändern. Doch dieses hehre Ansinnen rückte rasch in den Hintergrund. Denn kaum war der 102.000 Euro teure Spot veröffentlicht, brach ein Sturm der Empörung los. Auf Twitter schreiben sich seither zahllose Forscherinnen unter #sciencegirlthing ihren Ärger darüber von der Seele, dass man in Brüssel junge Frauen offenbar für völlig verblödet hält. Curt Rice, Forschungs-Vizerektor der Universität Tromsö, hatte die Kommission vor dieser Sexismusfalle gewarnt, doch „unser Rat wurde zu 100 Prozent ignoriert“. Die Astronomin Meghan Gray von der Universität Nottingham kritisiert, dass solche Darstellungen Mädchen doppelt unter Druck setzen: Sie müssen einem medial verstärkten Schönheitsideal sogar dann entsprechen, wenn sie sich für die Wissenschaft interessieren.

Die Kommission reagierte rasch auf die digitale Welle der Empörung und nahm den Film von ihrer Homepage. „Wir haben das Video zurückgezogen, weil wir vermeiden wollten, dass es vom Wesentlichen ablenkt“, sagte ein Sprecher zur „Presse“. Er hat zudem auf Twitter das Fangwort #realwomeninscience lanciert, um die Debatte ein wenig abzukühlen.

Doch was sagt eigentlich die Zielgruppe zu diesem Spot? Die Kommission hat ihn vorab Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren gezeigt. Resultat: Den Slogan „Science: It's a girl thing“ fanden sie richtig gut und ebenso den Lippenstift, der immer wieder durchs Video irrlichtert. Einzige Bitte: Er möge nicht rot sein. Das sei zu alt. Junge Mädchen verwenden nämlich lieber rosa oder farblosen Lipgloss. Die Befragten mochten die Kampagne – mit einer interessanten Einschränkung: Ihre Berufswahl wollten sie selbst und ohne Beeinflussung von oben treffen.

Heiligt also der Zweck die Mittel? Kann man mit dieser klischeehaften Darstellung Mädchen für die Technik gewinnen? Die belgische Agentur Emakina, die den Spot für die Kommission produziert hat, ist jedenfalls hinsichtlich Sexismusdebatten unbekümmert. In einer neuen Kampagne für Bier lässt sie halb nackte „Babes“ herumhüpfen. Der Slogan dazu: „Fußball sah noch nie hübscher aus.“

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2012)

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