In den USA hat sich seit 2000 ein politischer Farbcode etabliert, der dem allgemeinen Links-rechts-Verständnis widerspricht. Wie kann man das erklären?
Rot sind das Herzblut, die Liebe, der Zorn. Rot ist das Tuch, das den Stier reizt (obwohl er, weil rot-grün-blind, selbst Rot nicht sehen kann). Rot ist die Revolution, rot ist das Rote Wien, rot sind die Linken.
Rot sind aber auch die US-Republikaner. Das sehen wir auf den vielen Landkarten der USA, die vor und nach dem 6.November veröffentlicht werden: Die Staaten an der Westküste (Kalifornien, Oregon, Washington) sind blau, weil demokratisch dominiert, genauso wie jene im Nordosten (New York etc.). Dazwischen, in den „fly-over states“, wie die Linksliberalen an den Küsten gern verächtlich sagen, herrscht die Farbe Rot, mit wenigen Ausnahmen, z.B. Minnesota, dessen Name aus der Sprache der Dakota Sioux kommt und „mit Himmel gefärbtes Wasser“ bedeutet, was wohl nicht der Grund dafür ist, warum dieses Land demokratisch geprägt und daher auf der Karte blau ist. Es liegt eher daran, dass in Minnesota viele Industriearbeiter leben.
„It witnessed many a deed and vow, we must not change its colour now“, heißt es in „The Red Flag“, dem Lied der englischen Labour Party, das natürlich auch vielen US-Linken geläufig ist. Wie kommt es, dass sich die Farben – zumindest auf den politischen Landkarten – gewandelt haben? Und wann ist das passiert?
Ein Gang ins „Presse“-Archiv ergibt: 2004 stand Rot für die Republikaner (und Blau für die Demokraten), 2000 war es umgekehrt, auch noch 2002 bei den „midterm elections“. Und vor 2000? Keine Auskunft, aus schlichtem Grund: Damals ging die Zeitung mit Farbe noch sparsam um.
In den USA hat sich der Farbcode allmählich geändert. Noch 1980 kommentierte ein NBC-Sprecher den Erfolg Reagans in 44 Staaten als „suburban swimming pool“. Seit 2000 hat sich das heutige Schema etabliert, mit „red states“ als republikanisch und „blue states“ als demokratisch (und „purple states“ als schwankend), obwohl z.B. die „Washington Post“ noch am alten Code festhielt. Die „New York Times“ verwendete schon den neuen. Ihr Grafiker Archie Tse hat eine Erklärung dafür. Er habe sich einfach gedacht: „Rot“ beginnt mit „R“, „Republikaner“ beginnen mit „R“. „There wasn't much discussion about it.“ Wer die Republikaner unsympathisch findet, könnte ihr Rot auch mit dem Wort „rednecks“ (für vorurteilsbehaftete Hinterwäldler) erklären.
Es gibt jedenfalls eine simple Erklärung dafür, dass früher beide großen Parteien lieber blau sein wollten: Im Kalten Krieg wurde Rot mit Gefahr und Bedrohung verbunden, man denke an Bob Dylans „Talkin' John Birch Paranoid Blues“, in dem die von Kommunistenfurcht geplagte Hauptfigur entsetzt feststellt, dass sich sogar auf der Flagge rote Streifen befinden...
Blau sind das Wasser, die Luft, die Hoffnung. Können die Demokraten also mit ihrer Farbe zufrieden sein? Hier hat die Psychologie Widersprüchliches zu bieten: Rot ist wärmer, schreit mehr, provoziert mehr. Könnte sein, dass es Wutbürger, Protestwähler besser anspricht. Blau ist cooler: Wähler, die sich selbst als rational entscheidende Staatsbürger sehen, könnten darauf leichter reagieren. (Diese Theorie scheint freilich schlecht zur österreichischen FP zu passen.)
Die Wappentiere der US-Parteien haben beide ein eher phlegmatisches Image. Der Elefant der Republikaner wird oft oben blau und unten rot gezeichnet, der Esel der Demokraten wird kaum farbig dargestellt. Die (Nicht-)Farbe Grau ist übrigens unseres Wissens noch nicht parteipolitisch besetzt. Wer will?
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)