Das "derweil" erlebt eine Renaissance

"Derweil" - ein veraltetes Wort?(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Worte können ihren guten Ruf verlieren – und dann wieder zurückgewinnen. Nicht immer weiß man, warum.

Das Wörtchen Weib etwa: Was hat das für eine Karriere hinter sich! Im Althochdeutschen verstand man darunter die Ehefrau ganz generell, die Bezeichnung „frouwe“ war dem Adel vorbehalten, aber weil der Mensch gern schmeichelt, sprach er immer häufiger von „Frauen“, wenn er „Weib“ meinte, so lange, bis das Weib in der Bedeutungslosigkeit versank und nur mehr im Dialekt oder als Beschimpfung gebräuchlich war. Doch immerhin, vor zwanzig, dreißig Jahren wurde es wieder salonfähig, der Grund war eine Art feministische Trotzreaktion.

Hier wissen wir also, was passiert ist. Aber warum ist das Wörtchen „derweil“ so in Verruf geraten? Ursprünglich war es wohlgelitten: „Ist's nicht ein Mann, sei's derweil ein Galan“, lässt Goethe seinen Mephistopheles sagen, und Mörike begann damit gar ein Gedicht: „Derweil ich schlafend lag / Ein Stündlein wohl vor Tag / Sang vor dem Fenster auf dem Baum / Ein Schwälblein mir, ich hört es kaum.“

Schön, oder? Und dennoch galt „derweil“ in den letzten Jahrzehnten als verpönt. Der Duden schreibt in der 7. Auflage seines Nachschlagewerks „Richtiges und gutes Deutsch“ von „veraltenden Wörtern“ – und ehemalige Teilnehmer der „Presse“-Lehrredaktion versichern mir, es sei ihnen strikt untersagt worden, es in Artikeln einzusetzen. Die meisten haben sich an diese Order gehalten.

Zumindest eine Zeit lang. Denn in den letzten Jahren hat sich das Wörtchen fast unbemerkt zurück in die Schriftsprache geschmuggelt, auch in dieser Zeitung ist es neuerdings mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu lesen, dreimal allein in der gestrigen Ausgabe und einmal in diesem Ressort: „Derweil verlässt die beliebte Leseranwältin Margaret Sullivan das Blatt“, schrieb die Kollegin.

Wobei rätselhaft bleibt, wie es zu dieser Renaissance kommt, man kann darüber nur spekulieren: Weil wir in der Ära des Multitaskings immer zwei, drei, vier Dinge gleichzeitig tun, und „derweil“ ein schönes Adverb ist, um diesen Umstand auszudrücken? Weil „währenddessen“ oder „in der Zwischenzeit“ zu viele Buchstaben haben und wir in SMS und WhatsApp-Nachrichten mit Zeichen geizen? Oder weil in einer Zeit, da gerade in Wien der Dialekt auf dem Rückzug ist, immer weniger junge Menschen wissen, dass „derweil“ oder „daweil“ ein mundartlicher Ausdruck ist? Das würde bedeuten, dass sie bei „derweil“, „derweilen“ oder „dieweilen“ nicht mehr ans tiefe Hernals denken – sondern an den hehren Mörike.

Auffällig ist, dass „derweil“ kaum je als Einleitung eines Nebensatzes verwendet wird, wie das früher gang und gäbe war. Aber derweil ich diese Zeilen schreibe, ist der Sprachwandel in vollem Gange, und wer weiß: Vielleicht findet sich schon morgen der eine oder andere Leser, den diese Konstruktion gar nicht mehr befremdet.

E-Mails:bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.04.2016)

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