Wien modern und besinnlich und hintergründig

Ein Vorkämpfer für die Musik unserer Zeit tut manchmal auch gut daran, einem großen Meister wie Arnold Schönberg zu widersprechen.

Nach Graz muss man nicht mehr fahren. Jedenfalls nicht wegen der Avantgarde. Seit Langem rufen Wien und die steirische Landeshauptstadt ja den Herbst – groß oder klein geschrieben, gleichviel – zur Jahreszeit der Moderne aus. So kann das ORF-Orchester, wichtigster Bannerträger des einschlägigen Repertoires, hier wie dort wichtige Ur- und Erstaufführungen gestalten.

Vor allem aber setzt es sich im Wiener Konzerthaus mit einer der großen Legenden der Avantgarde auseinander: Die „Spiegel“ von Friedrich Cerha, das ehrgeizigste Orchesterprojekt eines Österreichers nach 1945, werden wieder einmal in ihrer Gesamtheit aufgeführt.

Die von Peter Eötvös dirigierte Veranstaltung am 28. Oktober, bei der mit Lothar Knessl einer der profunden Kenner der Szene als Eröffnungsredner fungiert, wird live übertragen. Und das akustische Erlebnis dieser Klanggemälde wird gewiss so überwältigend sein wie eh und je. Nur, dass heutzutage das Publikum längst gelernt hat, solcher Musik ohne Widerspruch zu lauschen, wie es ein abstraktes Gemälde anschaut.

Dass diese Gesetze mittlerweile akzeptiert sind, daran haben Interpreten ihren Anteil, die sich konsequent um die Einbindung von Werken der jüngeren Musikgeschichte in die Spielpläne bemüht haben. Allen voran Ensembles wie das Alban Berg Quartett, dessen Cellist, Valentin Erben, seit Neuestem mit Nurit Stark und Cédric Pesia ein Klaviertrio bildet.

Damit schließt er an Kindheitserfahrungen im Elternhaus an. Dem Grundsatz des Berg-Quartetts bleibt er treu: Beim ersten Wiener Konzert, morgen Abend im Konzerthaus, gibt es neben Schuberts Es-Dur-Trio auch Neues – aus der Feder von György Kurtág. Und das Brahms'sche g-Moll-Quartett mit Isabel Charisius (Bratsche), von dem Schönberg behauptet hat, man müsse es orchestrieren, denn in der Originalgestalt stimme die Balance nie. Wetten, dass Erben und seine neuen Partner den Gegenbeweis antreten können?

Freunde der zeitgenössischen Musik haben übrigens noch einen Pflichttermin dieser Tage: Der Verlag Doblinger zelebriert am 19. Oktober im Ehrbarsaal seine Jubilare des Jahres 2011. Musik von so unterschiedlichen Komponisten wie Ivan Eröd, Erich Urbanner, Friedrich Cerha oder Roland Batik wird da zu hören sein, aufgespielt von exzellenten Musikern wie Margarete Babinsky, dem Eggner-Trio oder dem Ensemble Pierrot Lunaire.

Ende Oktober kommt dann auch noch das Cleveland Orchestra und hat nebst Klassik und Romantik auch Zeitgenössisches im Gepäck. Im November darf's dann aber garantiert auch wieder Mozart pur sein; oder Wagner unter Christian Thielemann. Versprochen.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2011)

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