Das Gequatsche am Times Square sollte uns kalt lassen

„Facebook und Twitter sind nicht die New York Times, sondern der Times Square.“ (Jeff Jarvis)

Sie wissen ja wahrscheinlich, dass Barack Obama und Hillary Clinton einen Kinderhandel-Ring betreiben und Trump gewählt worden ist, um diesem Treiben endlich ein Ende zu setzen. Doch auch Trump könnte mit Hilfe von George Soros, dem übrigens viele Zeitungen, auch „Die Presse“, gehören, weggeputscht werden.

Jetzt im Ernst: Als Lehrer braucht man einen Universitätsabschluss, als Autofahrer einen Führerschein. Doch wer hat je gelehrt, wie man im Internet Fiktion und Realität unterscheidet? Hat die Suchmaschine etwa für uns selektiert, was glaubwürdig recherchiert oder erforscht wurde? Meinen Sie nicht im Ernst. Reicht die „digitale Intelligenz“ junger Leute, die mit dem Medium aufgewachsen sind? Hm. Oder der gesunde Menschenverstand? Nein, dafür ist unsere Welt zu komplex.

Kann man Gewissheit haben, ob eine sich wissenschaftlich gebärdende Nachricht Humbug ist oder Ergebnis jahrelanger Forschungen? Manches wirkt seriös, dann stellt sich heraus: Dahinter steckt ein Sektierer. Doch da hat man die Nachricht schon geteilt, mit Kollegen, mit Freunden, und sich womöglich blamiert. Willkommen in der Welt der Pseudowissenschaft!

Täuschen lässt sich also nicht nur der digitale Mob, es ist nicht eine Frage des IQ. Nicht immer fallen wir auf falsche Nachrichten herein, weil wir so blöd sind. Früher war das anders: Da haben Experten ihre Erkenntnisse vorgelegt, schriftlich, mündlich, andere haben sich zu Wort gemeldet, Journalisten haben nachgehakt, Literatur dazu gelesen. Dann galt das als okay. Forscher und Berichterstatter haben Verantwortung übernommen. Doch das Renommee von Journalisten hat heute ebenso gelitten wie das von Experten. Der Stammtisch weiß es ohnehin besser. Wenn keiner mehr an wissenschaftliche Erkenntnisse glaubt, wenn Mütter nur mehr googeln, ob sie ihr Kind impfen lassen sollen, dann gnade uns Gott. 

Vor kurzem wurden die „Nachrichten“ des Verschwörungstheoretikers und Trump-Anhängers Alex Jones auf mehreren sozialen Plattformen auf Dauer gesperrt. Seine Theorien über 9/11, den Ku Klux Klan etc. sind haarsträubend. Glaubt er das selbst? Seine Anwälte behaupteten in einem Prozess, er verstehe sich als eine Art „Aktionskünstler.“ Das stößt einem sauer auf, die Produktion von „Fake News“ jetzt schon als Kunstform zu sehen. Und auch dass Twitter ihn zunächst weiter schreiben lassen wollte. Er sei im Rahmen der Nutzungsbestimmungen. Man dürfe nicht das Internet zensurieren, das sei das Ende jedweder Freiheit, ist das übliche Argument.

Jeff Jarvis schrieb im neuen Heft von „Atlantic“: „Facebook und Twitter sind nicht die New York Times. Sie sind der Times Square.“ Man sollte nicht alles glauben, was am Times Square gequatscht wird. Der Druck auf die Tech-Firmen, die solche Nachrichten verbreiten, muss gewaltig erhöht werden. Das hätten wir auch nicht gedacht, dass wir irgendwann etwas Positives an der Zensur finden, dass man sie manchmal bejahen muss, um die Demokratie zu retten.

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