Der türkische Präsident Erdogan sorgte im Kanzleramt in Berlin beinahe für einen Eklat, doch der Grün-Politiker Cem Özdemir wollte dem Autokraten die Bühne nicht alleine überlassen.
Für einen Staatsgast gelten in der Welt der Diplomatie ganz besondere Regeln. Deutschland fuhr für Recep Tayyip Erdogan alles auf, was dem Protokoll für einen Staatsbesuch zu Gebote steht. Freitagfrüh rollte Berlin den roten Teppich für den türkischen Präsidenten aus und Präsident Frank-Walter Steinmeier richtet am Abend ein Staatsbankett für Erdogan aus.
Noch im Vorjahr hatte der Autokrat von Ankara die Regierung Merkel mit irrwitzigen Nazi-Vergleichen brüskiert. Nun erwartete der schwierige Gast im Gegenzug zu seinen neuen Schalmeientönen eine pflegliche Behandlung in Berlin und Köln - soll heißen: keine lautstarke, übermäßige Kritik. Da reagiert der "Sultan" nämlich superzimperlich, um nicht zu sagen, höchst allergisch.
Und so wäre es beinahe zum Eklat im Kanzleramt gekommen. Can Dündar, der frühere Cumhuriyet-Chefredakteur, der seit zwei Jahren im Berliner Exil lebt, hatte sich zur Pressekonferenz angesagt, um Erdogan mit einer kritischen Frage zur Pressefreiheit in der Türkei zu konfrontieren. Der Staatsgast war drauf und dran, das Pressegespräch mit Merkel abzusagen. Erst nach einem freiwilligen Verzicht Dündars, der auf der türkischen "Terrorliste" steht, war er dazu bereit. Unbotmäßige Fragen blieben Erdogan dennoch nicht erspart.
Cem Özdemir, der frühere Grünen-Chef mit türkischen Wurzeln und einer der vehementesten Erdogan-Kritiker, lässt sich indessen nicht so leicht durch Drohungen und Einschüchterungstaktik beeindrucken. Anders als mehrere Oppositionspolitiker nimmt er heute demonstrativ am Staatsdinner im Schloss Bellevue teil, und womöglich wird er Erdogan eben jene Kritik unterjubeln, die Can Dündar verwehrt blieb.
Recep Tayyip Erdogan hätte gewiss lieber den pflegeleichten deutsch-türkischen Fußballstar Mesut Özil getroffen. Der Arsenal-Star hatte dem Fußball-Fan und verhinderten Profifußballer im Mai in London ein Trikot samt Widmung überreicht und mit ihm posiert, was einen Eklat im deutschen Fußball auslöste. Jetzt muss der Staatschef stattdessen mit Cem Özdemir vorlieb nehmen. Erdogan hatte dann doch keine freie Bühne in Berlin.