Der Brexit als Sternstunde des Parlamentarismus

Die britischen Abgeordneten sind Diener des Volkes. Doch wenn sich das britische Volk nicht im Klaren darüber ist, was es eigentlich will, dann ist die Unklarheit ihrer Volksvertreter nicht abwegig, sondern logisch.

Nahezu drei Jahre sind seit dem EU-Referendum vergangen, und noch immer scheinen die Briten nicht zu wissen, wie sie die EU verlassen wollen. Kann man neun Tage vor dem möglichen Austrittstag dem sich jenseits des Ärmelkanals darbietenden Drama irgendwelche positiven Aspekte abgewinnen? Ja, man kann - indem man um die Ecke denkt und die Unfähigkeit der politischen Klasse Großbritanniens, punkto Brexit auf einen grünen Zweig zu kommen, in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext einbettet. Aus dieser - zugegebenermaßen etwas abgehobenen - Perspektive betrachtet, erscheint die Selbstblockade des Unterhauses nicht wie ein Betriebsunfall am Vorabend der Katastrophe, sondern wie ein Signal, dass der britische Parlamentarismus korrekt funktioniert.

Das ist weder ironisch noch zynisch gemeint - und schon gar nicht geht es an dieser Stelle darum, die vielen berechtigten Befürchtungen der Briten und Europäer über die Zukunft ihres Landes (und die der Europäischen Union) als Nebensächlichkeiten abzutun, denn diese Sorgen sind durchaus berechtigt. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht vielmehr die repräsentative Demokratie selbst. Ihre Grundidee ist (wie es der Name verrät) die Repräsentation: Abgeordnete sind Diener des Volkes und sollen den Volkswillen reflektieren. Doch wenn sich das Volk nicht im Klaren darüber ist, was es eigentlich will, dann ist die Unklarheit der Volksvertreter nicht abwegig, sondern logisch.

Was genau wollen die Briten vom Brexit? Auf diese Frage gibt es auch im Jahr drei nach dem Brexit-Referendum keine Antwort. Gestützt auf Daten der Meinungsforscher lässt sich lediglich feststellen, was die Briten nicht wollen.

Erstens: Sie wollen nicht in der EU bleiben.

Zweitens: Sie wollen nicht den von Premierministerin Theresa May verhandelten Brexit-Deal.

Drittens: Sie wollen keinen "No Deal".

Viertens: Sie wollen keine Anbindung ihres Landes an den EU-Binnenmarkt.

Fünftens: Sie wollen keinen Verbleib Großbritanniens in der EU-Zollunion.

Sechstens: Sie wollen keinen Brexit-Aufschub.

Und siebtens: Sie wollen keine Rücknahme des britischen EU-Austrittsgesuchs.

Kann man sich angesichts dieser Präferenzen noch wundern, dass die Unterhausabgeordneten keine Meherheit zustande bringen? Der einzige, wenn auch schwache Hoffnungsschimmer für Großbritannien: Die Ablehnung wird immer präziser. Beim ersten Versuch, eine Alternative zum vorliegenden Brexit-Deal zu finden, stimmten die Parlamentarier insgesamt acht Mal mit Nein. Beim zweiten Anlauf am letzten Montag lautete das Ergebnis nur noch "No", "No", "No" und "No" - zweifellos ein Fortschritt.

Geht es mit diesem Elan weiter, kann man damit rechnen, dass sich das Unterhaus spätestens kommende Woche auf eine einzige Brexit-Variante einigt. Und sie anschließend ablehnt.

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