Pizzicato

Retour à St. Pölten

Dieser Tage eröffnete in einer niederösterreichischen Provinzmetropole ein Großhandelsmarkt, was ein Grüppchen von Funktionären der Sozialistischen Jugend zu einer Besichtigung animierte.

Via Twitter ließen sie die Welt an ihren Eindrücken teilhaben, die in jener interpunktionsfreien Stammelsprache formuliert waren, welche vor ein paar Wochen noch ironisch-witzig war (man schreibt zum Beispiel „vong“ statt „von“), mittlerweile aber eher ein Indiz dafür ist, die Halbwertszeit eines Gags überschätzt zu haben. Inhaltlich nahm der SJ-Trupp das bisweilen recht groteske Warensortiment aufs Korn, verhöhnte aber auch jene Menschen, die dort Elektrogeräte oder Dinge des täglichen Gebrauchs in Großpackungen kaufen.

Wer so einen Markt schon einmal besucht hat, weiß: Dort kaufen eher die nicht so Reichen. Also jene, für die, zumindest ihren Behauptungen nach, die Linke sich zuständig fühlt. Das klingt verwunderlich, doch der französische Soziologe Didier Eribon hat es 2009 in „Retour à Reims“ bereits am eigenen Exempel beschrieben: „Mein jugendlicher Marxismus war für mich der Vektor einer sozialen Desidentifikation: die ,Arbeiterklasse‘ preisen, um mich besser von den echten Arbeitern distanzieren zu können.“ Reims ist insofern überall – auch in St. Pöltener Supermarktrayons. (go)

Reaktionen an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.10.2017)

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