Was den Schwindel mit dem Establishment so attraktiv macht

Nach dem Verlust der Glaubwürdigkeit der politischen Führungen in Demokratien täuschen Insider vor, sie seien Außenseiter. Wähler fallen bereitwillig darauf herein.

Donald Trump tut es, auch die neue britische Premierministerin, Theresa May, tat es bei ihrer Antrittsrede. Norbert Hofer tut es, sogar Alexander Van der Bellen möchte es gern tun, Heinz-Christian Strache tut es sowieso: Sie alle gerieren sich als Gegner des Establishments und der Eliten. Sie alle verwenden die Begriffe quasi als Schimpfwort. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Die negative Überfrachtung der Begriffe Establishment oder Elite geht auf die Protestzeit der 1960er-Jahre zurück. Mit dieser kann Van der Bellen vielleicht heute noch etwas anfangen, aber sicher nicht die Vertreter des rechten Spektrums, die jetzt von der Attitüde des Anti-Establishments profitieren wollen.

In der Definition umreißt der Begriff eine Gruppe in der Gesellschaft, die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich großen Einfluss hat. Und genau das streben alle genannten Kandidaten und auch das Anti-Establishment-Lager an.

Das ist aber zurzeit nicht die einzige Kuriosität im Bemühen, die Gegnerschaft zum jeweiligen Establishment in möglichst viele Wählerstimmen umzumünzen. Der Kandidat der Republikaner für die Wahl des US-Präsidenten, Donald Trump, zum Beispiel: Mehr Establishment als er in seinem Lebenslauf mitbringt, geht wohl kaum. Wenn Trump etwas außer der öffentlichen Dauerpräsenz der eigenen Person will, dann sicher politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Einfluss. Trump als Gast Barack Obamas? Trump als Freund der Clintons? Das Weiße Haus und die Clintons sind sicher bekannt dafür, Gegner des Establishments einzuladen oder mit ihnen befreundet zu sein, nicht wahr?

Für die USA ist die Antwort auf die Frage, warum so viele zornige Wähler auf diesen – sagen wir es österreichisch – Schmäh hereinfallen, relativ leicht zu finden: In einem Video in den sozialen Medien zum Beispiel können junge US-Bürger keine einzige Frage nach der Geschichte oder der Politik der USA beantworten, aber alle nach persönlichen Details von Stars. „Die Presse“ berichtete diese Woche über das erschreckend geringe Wissen amerikanischer Studenten von der Welt und darüber, wie viele nicht einmal den Irak auf der Landkarte finden konnten. Wer sich so wenig mit öffentlichen Dingen beschäftigt, kann leicht hinters Licht geführt werden.

Für das überschaubare Österreich gilt etwas anderes: Norbert Hofer ist seit 2006 Abgeordneter zum Nationalrat, seit drei Jahren Dritter Präsident dieser Körperschaft, seit einigen Monaten Drittel-Bundespräsident. All diese Funktionen sind ohne Einfluss? Wenn dem so wäre, was sind sie dann wert? Ähnliches gilt für Van der Bellen, seit einer gefühlten Ewigkeit in der Politik, elf Jahre Bundessprecher der Grünen – und jetzt plötzlich ein Kandidat „von außen“? Ein Außenseiter also? Wer soll das denn glauben?

In Wahrheit ist es hierzulande ja so: Die, die jetzt drinnen sind, wollen unbedingt drinnen bleiben, also SPÖ und ÖVP. Die, die draußen sind, wollen unbedingt hinein – die Anti-Elite-Truppe der FPÖ, die Grünen fast verzweifelt und die Neos unbedingt. Alle wollen (mit)regieren.

Warum funktioniert dann dieser Schwindel just in demokratisch verfassten Staaten? Warum ist der Zulauf zu denen von „außen“ so stark, auch wenn sie von innen kommen?

Wer eine schlüssige Antwort sucht, muss nur die Vorgänge der vergangenen Tage in Österreich Revue passieren lassen, um zu merken, dass die drinnen ihre Glaubwürdigkeit wie unter Zwang freiwillig aufs Spiel setzen. Die Regierungselite beflegelt sich – unter aktiver Beteiligung von Bundeskanzler Christian Kern. So schnell ist noch keiner von „außen“ drinnen angekommen. Der neue Generalsekretär der ÖVP, Werner Amon, erklärt an einem Tag „Ich schätze Bundeskanzler Kern“, um ihn nur wenig später öffentlich frontal anzugreifen.

Das macht den Schwindel mit dem Anti-Establishment zwar attraktiv, aber um nichts ehrlicher.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.